E-Commerce:
Übervorteilt Amazon seine Marktplatzhändler?
Die Nachrichtenagentur Reuters hat interne Dokumente von Amazon analysiert, die belegen sollen, dass Amazon auf Daten von Marktplatzhändlern zugreift, um seine Eigenmarken zu pushen.

Foto: Amazon
Der Vorwurf steht seit Jahren im Raum und wurde von Amazon immer rigoros dementiert. Doch jetzt scheinen interne Dokumente der indischen Amazon-Tochter, die die Nachrichtenagentur Reuters analysiert hat, zu belegen: Die Vorwürfe sind doch nicht so abstrus, wie Amazon sie hinstellt.
Demnach hat der E-Commerce-Riese systematisch Imitate produziert und Suchergebnisse manipuliert, um seine Eigenmarken zu fördern. Und mindestens zwei hochrangigen Amazon-Führungskräfte sollen von dieser Strategie gewusst haben. Von der Taktik betroffen ist unter anderem die indische Hemdenmarke John Miller. Hier soll Amazon die Maße der John-Miller-Hemden - von der Ärmellänge bis zum Halsumfang - übernommen haben.
Darüber hinaus sollen die internen Dokumente auch zeigen, dass Amazon-Mitarbeiter geschützte Daten über andere Marken auf Amazon.in studiert haben, einschließlich detaillierter Informationen zu Retouren. Das Ziel dahinter: Waren zu identifzieren, die als "Referenz-" oder "Benchmark"-Produkte bezeichnet werden, und diese zu replizieren.
Versuchter Schulterschluss mit den Herstellern der Originalprodukte
Die Strategie der indischen Eigenmarke "Solimo" soll darin bestanden haben, Informationen von Amazon.in zu nutzen, um Produkte zu entwickeln, die über Amazon.in vermarktet werden. Inzwischen werden Produkte der Marke auch auf der US-Website von Amazon zum Verkauf angeboten.
Unterlagen aus dem Jahr 2016 sollen darüber hinaus belegen, dass Amazon-Mitarbeiter, die für Eigenmarken verantwortlich waren, Partnerschaften zu den Herstellern suchten, die die Originalprodukte produzierten. So wollten sie von den "einzigartigen Prozessen profitieren, die die Endqualität des Produkts beeinflussen. In einem internen Dokument mit der Aufschrift "India Private Brands Program" wurde dieses Wissen als "Tribal Knowledge" bezeichnet.
Die Enthüllung steht in eklatantem Widerspruch zu einer eidesstattlichen Aussage von Amazon-Gründer Jeff Bezos vor dem US-Kongress im Jahr 2020. Damals beteuerte Bezos, dass es Mitarbeitern verboten sei, die Daten einzelner Verkäufer zu nutzen, um das Eigenmarkengeschäft zu fördern.
Amazon bestreitet die Vorwürfe
Die von Reuters eingesehenen internen Dokumente zeigen jedoch zum ersten Mal, dass zumindest in Indien die Manipulation von Suchergebnissen zugunsten von Amazons eigenen Produkten sowie das Kopieren von Waren anderer Verkäufer Teil einer offiziellen, geheimen Strategie bei Amazon waren - und dass hochrangige Führungskräfte darüber informiert waren. Die Dokumente zeigen, dass zwei Führungskräfte die Indien-Strategie überprüften - Senior Vice President Diego Piacentini, der das Unternehmen inzwischen verlassen hat, und Russell Grandinetti, der derzeit das internationale Verbrauchergeschäft von Amazon leitet.
In einer schriftlichen Antwort auf Fragen für diesen Bericht, sagte Amazon: "Da Reuters uns die Dokumente oder deren Herkunft nicht mitgeteilt hat, können wir den Wahrheitsgehalt der Informationen und Behauptungen nicht bestätigen. Wir glauben, dass diese Behauptungen sachlich falsch und unbegründet sind."