
Die besten CDs der Welt:
Das Serviceplan-Interview über Heulsusen, Selbstzerfleischung und den Stolz auf den Job
Die Serviceplaner Matthias Harbeck, Oliver Palmer und Christoph Everke gehören zu den kreativsten CDs der Welt. Mit W&V Online sprechen die äußerst verschiedenen Charaktere über Heulsusen, das Geschichtenerzählen und Schlüsselbildterrorismus.
Die Veranstalter des Werbefestivals PIAF haben eine Liste mit den besten CDs der Welt aufgestellt. Einige Topkreative dieser Liste stellen wir bei W&V Online in loser Folge vor. Bis zur Herbstauswertung 2012 des Prague International Festival (PIAF) waren das vor allem Werbestars aus Brasilien, Frankreich, Skandinavien. Schluss damit! Heute haben wir allen Grund, stolz auf unsere deutschen Kreativen zu sein. Und beginnen die aktuelle Serie zu den besten Kreativen weltweit deshalb mit einem kreativen Dreigestirn der deutschen Agenturgruppe Serviceplan. Nicht nur hat sich deren Kreativchef Alexander Schill auf Platz 1 weltweit vorgeschoben und die Agentur Platz eins im Kreativ-Ranking von W&V 2012 übernommen - drei weitere CDs der größten deutschen inhabergeführten Agentur sind ordentlich unter den Top 50 platziert: Matthias Harbeck auf Platz 30, Oliver Palmer auf Platz 43 (bereinigt), Christoph Everke auf Platz 46 (bereinigt um doppelt belegte Ränge beim PIAF - im noch neueren Ranking 2012/13 liegt Everke gar auf Rang 6).
Sie haben weltweit Medaillen gesammelt mit Arbeiten für Lego ("Builders of Sound"), BMW Motorrad ("Planet Power"), Rolf Benz ("Coffee Table Book"), Austria Solar (Geschäftsbericht) und Sky ("Fußballoper"). W&V-Online-Autorin Susanne Herrmann hat die drei getroffen und befragt.
Was inspiriert Sie?
Oliver Palmer: Ich bin absolut ein Kind des Films mit einer tiefen Liebe zu Kino und Fernsehen. Diese Frontalbeschallung schätze ich sehr, aber auch Musik und subkulturelle Dinge. Außerdem inspirieren mich Kollegen, die Familie, meine Kinder.
Christoph Everke: Vor allem Kollegen, ja, andere Menschen, aber auch unsere Kunden.
Matthias Harbeck: Natürlich Filme. Bücher. Bildende Kunst. Aber mich inspiriert es auch, einfach mal aus dem Fenster zu gucken, ins vermeintliche Nichts. Die Gedanken fangen plötzlich zu wandern an, man hat eine Art innere Freiheit. Am wichtigsten allerdings: Menschen. Ein guter Kreativer ist immer ein guter Menschenbeobachter.
Welches Erlebnis Ihrer Laufbahn war für Sie unvergesslich?
Harbeck: Eine Anekdote aus der guten bösen alten Zeit: Juniortexter (nein, nicht ich!) geht zum sehr Angst einflößenden, aber nicht humorlosen CD, zeigt ihm zitternd die Idee. Der CD guckt sich das an, öffnet die Schublade, legt den Text rein, macht die Schublade wieder zu und sagt: "Das brauch ich noch fürs Arbeitsgericht." Diese Reaktion war natürlich nicht ernst gemeint und trotzdem bitterböse. Aber nicht nur: Sie war geradezu diabolisch humorvoll. Uneingeschränkt positiv: Cannes 2012. So viele Preise und dann noch unerwartet Direct Ageny of the Year!
Everke: Cannes 2012. Da zum ersten Mal in Cannes und in der Jury und dann noch dazu auf der Bühne. Das war beeindruckend und wunderschön! Die Stimmung, die anderen Kreativen, zu sehen, dass Werbung Dinge hervorbringen kann, die etwas verändern. Was ich nicht wusste, womit ich nicht gerechnet hatte: Wir wurden Direct Agency of the Year. Als wir auf die Bühne durften, bin ich in die Luft gesprungen.
Wer ist Ihr Vorbild?
Palmer: Als Kind war das Han Solo. Aber so richtige Vorbilder hab ich überhaupt nicht.
Everke: Johnny Cash, weil ich die Musik großartig finde. In der Werbung gibt es viele Leute, die ich bewundere, aber kein Vorbild, wie ich sein will.
Was wollen Sie noch erreichen?
Everke: Eine Platte aufnehmen. Das ist meine Art Doppelexistenz. Ich spiele Gitarre und singe.
Harbeck: Eine weltweite fantastische Kampagne machen, die eine große Marke wirklich nach vorne bringt. Wie mit BMW Motorrad, aber für eine breitere, weniger spezielle Zielgruppe, mit einer großen Marke.
Haben Sie Lieblings-Apps?
Harbeck: Shazam nutze ich am liebsten. Das nun auch in der Werbung einzusetzen (z.B. Toyota/Anm. der Red.) ist eine tolle Möglichkeit, von einem Medium ins nächste den Konsumenten bei der Stange zu halten.
Palmer: Die Taschenlampen-App. Die brauch ich bestimmt dreimal die Woche. Aber ansonsten bin ich nicht so involviert, ich sammle keine Apps.
Everke: Google Maps. Ich bin ein sehr visueller Mensch und kann mir Wegbeschreibungen nicht merken. Wenn ich es einmal gesehen hab, finde ich aber immer hin.
Was lieben Sie an der Werbebranche?
Harbeck: Die Arbeit ist ein echtes Privileg: sich jeden Tag Ideen ausdenken zu dürfen im Vergleich zu Berufen, in denen man nach Schema F funktionieren muss. Ein Privileg, in verschiedene Lebensbereiche einzudringen - morgens Motorrad, mittags Fernsehen, nachmittags Kinderspielzeug ... Ein Privileg ist es, sich mit neugierigen, kreativen Menschen zu umgeben. Das ist ein Beruf, der einen jung hält.
Everke: Dass ich am Morgen nicht genau weiß, was am Abend gewesen sein wird.
Palmer: Weil ich weiß, wie langweilig und blöd andere Jobs sein können, schätze ich es sehr, etwas zu kreieren, auch wenn es für Viele etwas Triviales ist. Für mich ist sie ein Geschenk des Himmels. Vielleicht bewahrt mich die Tatsache, dass ich erst spät auf die Werbebranche gekommen bin, davor, in Sinnkrisen zu fallen.
Und was macht Sie wahnsinnig?
Everke: Ich hasse das Nicht-Entscheidungen-treffen, unentschlossen sein. Dahinter stecken Verlustängste, Angst vor Fehlern. Seid mutig!
Palmer: Mich macht wahnsinnig, dass es in Deutschland eine Tendenz zur Selbstzerfleischung gibt und dazu einen Anglo-Komplex. Ich finde, dass deutsche Werbung wahnsinnig toll ist, speziell wenn es um die neuen Disziplinen geht. Bei uns braucht sich niemand wundern, dass der Beruf des Werbers nicht mehr so hip ist, wenn man ständig das Gefühl hat, mit lauter Heulsusen in einer Branche zu stecken. Ein gegenseitiges Bezichtigen ist das, ein Anklagen ... beim Fußball ist das ähnlich: Da platzen die Deutschen fast vor Selbstbewusstsein und sind die Größten, und das Pendel schlägt dann in größte Selbstzerfleischung, wenn es mal nicht so läuft, und beides ist so irrational. Das sind Eisprinzessinnen! Ich persönlich bin stolz zu sagen: "Ich bin Werber."
Harbeck: Werbung hat mit Verführen zu tun und natürlich mit Eitelkeit. Aber gerade diese Eitelkeit, insbesondere von manchen Kreativen, die regt mich schon ziemlich auf. Wo Leute viel zu früh aufhören, die beste Lösung zu suchen, weil sie glauben, sie haben sie schon. Und wo Leute eher Fassadenkünstler sind. Dass es viele Blender in der Branche gibt, liegt leider in der Natur der Sache. Und was noch schwierig ist: Mutlosigkeit und allzu große Testgläubigkeit von Kunden. Aus Tests kann man viel lernen, aber wenn man die Ergebnisse eins zu eins hinnimmt, haben Ideen, die wirklich neu sind, nie eine Chance, sich durchzusetzen. Tests bestätigen meist nur den Status Quo.
So viele deutsche CDs im Kreativ-Ranking der Piaf-Auswertung aus internationalen Wettbewerben: Was bedeutet das für die deutsche Kreativszene?
Everke: Ein toller Ansporn, es ist schön, da mitzuspielen! Das Niveau der deutschen Werbebranche finden international alle toll. Beim Eurobest durfte ich einen Preis entgegennehmen und Sir John Hegarty die Hand schütteln, der sagte: "Amazing work." Dann denk ich mir: Ja! Das war tolle Arbeit, die aus Deutschland kam, warum kann man das nicht einfach so hinnehmen und sagen: "Schön, lasst uns mehr davon machen."
Preise gibt es nur für Goldideen, ätzen andere dann gern.
Palmer: Sicherlich ist es die große Kunst, bei jedem Tagesgeschäft und auf allen Kunden etwas zu machen, das was reißen kann. Trotzdem haben kleine und speziellere Ideen absolut ihre Berechtigung. Ich würde sie mit Prototypen vergleichen, wie in der Formel 1: Damit kann man noch nicht auf der Straße rumfahren, aber es sind diese Prototypen, die den Autobau vorantreiben. Und das ist kein deutsches Phänomen. Auch viele internationale Arbeiten haben eher Prototypenstatus, nur zerbricht sich nicht überall jeder so den Kopf darüber wie wir in Deutschland. Außerdem sitzen doch viele derer, die sich beschweren, in den Jurys und haben mit ihrer Suche nach dem heißen, neuen Scheiß diese Entwicklung vorangetrieben.
Was ist der Grund für das gute Abschneiden deutscher CDs beim Piaf 2012?
Harbeck: In Deutschland haben wir doch ziemlich schnell gelernt, mit der neuen Medienlandschaft innovativ umzugehen. Darum gewinnen viele Arbeiten in den Kategorien Direct, Promotion ... wo es darum geht, verschiedene Medien auch technisch spannend miteinander zu verknüpfen.
Sogar einige Frauen sind erstmals auf guten Plätzen in diesem Kreativ-Ranking vertreten. Woran liegt es, dass sie erst jetzt langsam hineinrutschen?
Everke: Ich weiß nicht, woran es liegt, ich hab das Glück gehabt, dass ich mit ganz tollen Frauen arbeiten durfte. Inhaltlich gibt es keinen Grund. Kann sein, dass Männer noch mehr Spaß haben am Kräftemessen, das könnte ein Grund sein zumindest in den Rankings.
Harbeck: Langsam wird's Zeit! Die Werbebranche war in den 80er, 90er Jahren eine Machobranche und verändert sich nun. Wir haben nicht mehr diese Rennfahrergeneration an den Schalthebeln, die gern Ferrari fährt, das ist nicht mehr angesagt.
Wie wird Werbung in zehn Jahren aussehen?
Harbeck: Geschichtenerzählen wird noch wichtiger werden. Und die Medien noch virtuoser als heute miteinander zu verknüpfen, damit man mediengerecht eine Kampagnenbotschaft inszeniert. Ein Visual durch alle Medien zu prügeln ist dagegen gestriger Schlüsselbildterrorismus. Und: Wir müssen die Leute überzeugen, sich stärker zu involvieren. Und das tut man, indem man erst mal tolle Geschichten faszinierend erzählt und der Marke zu Berühmtheit verhilft. Je mehr Berühmtheit eine Marke hat, desto leichter wird es in der Folge, Menschen in die Kommunikation zu involvieren. Wir dürfen bei allen Kanaldiskussionen die Inhalte und die Kunst der Inszenierung nicht vernachlässigen!
Everke: Es wird um die Idee gehen. Die Aufgabe von Werbung ist, die Dinge neu und ungewöhnlich zu zeigen. Es wird vielleicht eine andere Kanaldiskussion geben, aber ohne Idee ist das sinnlos. Was die Kanäle angeht, glaube ich, keiner wird verschwinden, es sind ja bisher auch immer nur neue dazugekommen - und damit andere Versionen, Geschichten zu verbreiten.
Palmer: Sehr modern!
Was wünschen Sie sich?
Harbeck: Die deutsche Neigung, sich selbst zu zerfleischen, die könnte man mal ablegen. Dass man sich gegenüber dem Ausland klein macht, ist nicht mehr nötig. Und die Neigung, sich untereinander mit Dreck zu beschmeißen, finde ich schlicht und einfach ermüdend. Wir sind stolz auf das, was wir kreativ und wirtschaftlich erreicht haben. Deswegen stellen wir uns nicht hin und sagen "We are the champions". Aber wenn ich mich für Erfolg entschuldigen muss, empfinde ich das geradezu als hanebüchen.
Unsere Serie "Die besten Kreativdirektoren der Welt" bisher:
Luiz Sanches, (Almap BBDO)
Stéphane Xiberras, Euro RSCG, Paris
Dulcidio Caldeira, Regisseur (ehemals Almap BBDO)
Andy DiLallo, Leo Burnett, Sydney
Erik Norin, Farfar und R/GA