Sie sehen Künstliche Intelligenz also nicht als Bedrohung, sondern als Chance für den Handel?

KI-Systeme ergänzen das menschliche Leistungspotential und schaffen neue Chancen für Händler, indem sie den wichtigsten Aspekt des Handels steigern: Relevanz. Umso relevanter und ansprechender ein Angebot oder eine Produktauswahl für ein Individuum erscheint, desto wahrscheinlicher wird der Kauf. Dieses angenehme Kauferlebnis steigert dann wiederum die Bindung an die Marke.

Wie definieren Sie eigentlich Künstliche Intelligenz?

Für Dynamic Yield geht es bei Künstlicher Intelligenz darum, die Erfassung und Interpretation von Kundenentscheidungen zu automatisieren. Dafür nutzen wir Algorithmen und Machine Learning und steigern die Marketing-Effizienz von Marken.

Wir glauben, dass der Mehrwert von KI in hohem Maße auf menschlicher Intelligenz beruht. Deshalb ermöglichen es unsere Tools, die Ergebnisse der Automatisierungsprozesse leicht nachzuvollziehen und bieten dem Menschen die Möglichkeit, diese Entscheidungs-Engine zu steuern und zu managen.

Ist die Bewegung des Konsumenten auf einer Firmenhomepage vergleichbar mit der Bewegung in einem realen Store?

Überhaupt nicht. Die Erfahrung im physischen Store wird durch das Entdeckungserlebnis bestimmt. Das Erlebnis, einen Gang herunter zu gehen und hunderte, wenn nicht sogar tausende von Produkten anzusehen, ist unmöglich im Online-Store umzusetzen. Ganz einfach weil es die Bedingungen einer Website nicht zulassen.

Einen Laden zu betreten, ist ein absolut eindringliches Erlebnis – wir gehen, sehen, riechen und fühlen. Daher ist die Zeit, die wir bereit sind, in einem realen Store zu verbringen, wesentlich höher als die Zeit, die wir aufwenden, um eine zweidimensionale Website zu durchsuchen.

Und beim Online-Shoppen?

Das Online-Erlebnis dient von Natur aus einem viel funktionalerem Zweck. Die Entdeckungsreise muss sehr effektiv gestaltet sein, damit der Besucher nicht die Aufmerksamkeit verliert und zu einer andere Website springt, oder sich einer ganz anderen Aufgabe widmet. Und das ist einer der wichtigsten Gründe, warum KI so wichtig für den digitalen Handel ist.

Wie kann ein Händler schnellstmöglich vorhersagen, was die Intention seines Besuchers ist und ihm die relevantesten Produkte und Angebote zeigen? Der einzige Weg, um das in Echtzeit und skalierbar zu leisten, sind KI-basierte Entscheidungs-Engines.

Herr Agmon, ganz generell: Wo sind die Knackpunkte, die zu einem Absprung führen?

Die Nummer eins der Gründe für einen Absprung ist eine Diskrepanz zwischen den Erwartungen des Besuchers und der Information oder dem Produkt, dass ihm angezeigt wird. Die Aufmerksamkeitsspanne von Besuchern wird immer kürzer, besonders beim Browsen über mobile Endgeräte.

Was raten Sie Online-Händlern, um die Bounce-Rate zu minimieren?

Angenommen die Traffic Acquisition läuft gut und es gibt auch keine Diskrepanz zwischen der Top-of-Funnel-Kampagne und dem Angebot der Marke, dann ist der effektivste Weg, um die Absprungrate zu reduzieren, sich auf die Spuren des Besuchers zu begeben und ein paar Schlüsselfragen zu beantworten:

  • Wie ist der Besucher auf einer spezifischen Seite gelandet und was war seine ursprüngliche Intention?
  • Was ist der beste und schnellste Weg für mich, um dem Besucher anzubieten, was er möchte?
  • Wie zeige ich dem Besucher zusätzliche Produkte oder Angebote, falls er auf einer Seite gelandet ist, die nicht exakt seinen Bedürfnissen entspricht?

Sollte man bei der Online-Warenpräsentation sofort Preise nennen?

Diese Entscheidung hängt von vielen Faktoren ab, einschließlich der Art der verkauften Produkte, deren Preisen, Traffic Source, und so weiter. Die Frage vernachlässigt auch einen wichtigen Faktor und sollte umformuliert werden: "Sollten Shops sofort Preise für Benutzersegment X anzeigen?"

Und wie lässt sich die Frage beantworten?

Die einzige Möglichkeit um das herauszufinden, ist ein umfassender A/B-Test, dessen Ergebnisse nach Benutzersegmenten analysiert werden. Es ist gut möglich, dass die Preisanzeige bei Paid-Traffic zu zusätzlichen Einnahmen führt, dafür aber beim organischen Traffic einen Umsatzrückgang verursacht. Was ich mit Sicherheit sagen kann: Online-Händler können ihre Umsätze erheblich steigern, indem sie mehrere Optionen testen und analysieren.

Haben Sie ein Beispiel?

Zum Beispiel hat einer unserer Kunden – eine globale Modemarke – eine Umsatzsteigerung von 4,5 Prozent erzielt, indem alternative Produktfarben auf den Katalogseiten ausgeblendet wurden. Warum? Vielleicht hat es den Besuchern geholfen sich bei der Produktsuche zu fokussieren. Ich bin nicht sicher, aber durch Daten erreichen wir mehr als durch bloße Grundannahmen und so erhalten wir valide Ausgangspunkte auf denen wir neue Hypothesen und weitere Tests aufbauen können.

Sind Rabatte generell sinnvoll?

Wie Sie vielleicht schon vermuten, kann man auch hier keine eindeutige Antwort geben. Geht es um eine Discounter-Marke wie Walmart? Dann sind Rabatte ein Muss. Sind Sie eine Premiummarke wie Dior? Dann verwenden Sie Rabatte mit Vorsicht. Rabatte sind wie Amphetamine - sie stellen einen kurzfristigen Schub dar, können jedoch dem Langzeitwert eines Kunden schaden, wenn sich dieser erst einmal an das Spielchen mit den Rabatten gewöhnt hat. Es ist sehr schwierig für Marken, ihren Kundenansprache zu ändern und die Gewinnmargen wieder zu erhöhen, wenn sich die Kunden an Rabatte gewöhnt haben.

Gibt es übergreifende Verhaltensweisen, egal aus welchen Kohorten die Online-Kunden kommen?

Ja. Egal aus welchen Kohorten die Kunden kommen, sie schätzen Relevanz, Effizienz und Freude am Einkaufserlebnis. Es gibt viele Möglichkeiten, diese Metriken zu quantifizieren und zu messen. Basierend auf unseren Daten und unseren Gesprächen mit mehr als 300 globalen Kunden, können wir sagen, dass User insbesondere die Marken belohnen, bei denen sie diese drei Werte vorfinden.

…und übergreifende Tricks, um die Conversion Rate zu steigern? Zum Beispiel: Countdown-Timer vor Black Friday oder zeitbegrenzte Gutscheine

Richtig, temporäre Angebote sind eine bewährte Methode, um Bestellabschlüsse zu incentivieren. Social-Proof-Messaging hat sich ebenfalls als effektiv erwiesen, indem der Einfluss einer Gruppe bei der Entscheidungsfindung eines Einzelnen genutzt wird. Außerdem kann durch Hinweise auf die Knappheit eines Produkts eine Art von Dringlichkeit erzeugt werden, die zu mehr "Add-to-cart"-Klicks führt. Es gibt viele nützliche Taktiken, doch jede sollte für einzelne Kundensegmente getestet und optimiert werden.

Arbeiten Sie auch am Wording, also an der Art der Ansprache im Sinne von SEO?

Das Wording steht nicht im Fokus unserer Produktsuite und es gibt andere Lösungen auf dem Markt, die dort hervorragende Arbeit leisten. SEO geht heute jedoch über das Wording hinaus. Google erfasst Relevanz (was, wie Sie feststellen können, ein wiederkehrendes Thema in meinen Antworten ist), indem es die Verweildauer auf der Website misst.

Zusammengefasst bedeutet das: Durch höhere Relevanz wird die Absprungrate reduziert, was einen positiven Einfluss auf das SEO-Ranking zur Folge hat.

Welche KPIs sind Ihren Kunden am wichtigsten? Etwa der Average Basket, also die Füllhöhe des Warenkorbs?

Erfolgreiches Marketing erfordert die Fähigkeit, den relativen Beitrag jeder Aktivität und jedes Kanals bei der Konversion und dem Kauf über einen längeren Zeitraum zu messen. Deshalb unterstützen wir Marken dabei sich auf "per user" KPIs, wie Average Revenue per User oder Conversions per User zu konzentrieren, anstatt sich auf "per session" zu fokussieren. Diese Metriken sind wesentlich besser dazu geeignet, um langfristige Umsatzsteigerungen zu erzielen.

Andere bedeutsame Metriken enthalten:

  • Durchschnittlicher Bestellwert
  • Monatlicher Umsatz
  • Wiederholungskäufe
  • Seitenansichten pro Nutzer

Stellen Sie nur die Software zur Verfügung oder speichern Sie auch die Daten ihrer Kunden auf eigenen Servern oder in der Cloud?

Wir speichern die nicht-personenbezogenen Daten (non-PII data) unserer Kunden auf unseren Servern in der Cloud. Dabei halten wir alle DSGVO-Richtlinien ein und erfüllen strengste Datenschutzvorschriften. Es liegt ganz bei unseren Kunden, zu entscheiden, welche Daten dort gespeichert werden und welche nicht. Unsere Kunden speichern viele Daten in unserer Infrastruktur, da so viele ihrer Arbeitsprozesse direkt optimiert werden können und unsere Machine-Learning Algorithmen in Echtzeit informiert werden.


Autor: Rolf Schröter

Rolf Schröter ist Chefredakteur der W&V und interessiert sich nicht nur deshalb prinzipiell für alles Mögliche. Ganz besonders für alles, was mit Design und Auto zu tun hat. Auch, wenn er selbst gar kein Auto besitzt.