
Gastbeitrag:
Recruiting-Prozesse im digitalen Wandel
Lange Bewerbungsvorgänge sind out, die schnelle Kommunikation über digitale Kanäle in. So sichern sich Unternehmen mit neuen Technologien die besten Talente und entscheidende Wettbewerbsvorteile.

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Der Bewerber von heute verbringt viel Zeit in den sozialen Netzwerken, sucht online nach Jobs und bevorzugt mehr und mehr die Kommunikation über digitale Kanäle. Für Recruiter bedeutet das, umzudenken, um qualifizierte Bewerber zu erreichen und sie gezielt mit den richtigen Botschaften anzusprechen.
Nur die wenigsten Personaler haben dabei den Luxus, den geeigneten Kandidaten aus einem schier unerschöpflichen Pool an Bewerbern auszuwählen. Umso wichtiger ist es daher, dass sie zunächst die maximale Aufmerksamkeit für offene Stellen generieren und dann eingehende Bewerbungen schnell und professionell abarbeiten. Hier unterstützen Recruiting-Lösungen, den Bewerbungsprozess so schlank wie möglich zu halten und die Time to Hire zu verkürzen. Und die Nachfrage ist groß: Der HR-Software-Markt wächst seit 2015 anhaltend jährlich um fünf Prozent und wird in diesem Jahr in Deutschland die 1,7 Milliarden Euro Marke erreichen.
Die Wahl einer geeigneten Recruiting Software
Wenn es um die Implementierung einer geeigneten Recruiting-Lösung geht, sollten sich Personaler zunächst Gedanken darüber machen, welches Problem sie angehen wollen. Bekommt ein Unternehmen beispielsweise keine oder zu wenig Bewerber, muss es mehr Aufmerksamkeit generieren. Hier empfehlen sich Software-Lösungen, die durch Multiposting, Programmatic Advertising und Analytics helfen, das Recruiting-Budget bestmöglich auszuschöpfen. Wenn ein Großteil der Bewerber während des Recruiting-Prozesses verloren geht, weil dieser unter anderem zu lange dauert, gilt es, eine Software auszuwählen, die Prozesse abbildet und dem Bewerber die bestmögliche "Candidate Experience" durch ein schnelles und unkompliziertes Bewerbungsverfahren bietet.
Wichtig: Recruiter sollten sich kritisch mit den jeweiligen Lösungen auseinandersetzen und sich nicht von Schlagworten wie künstliche Intelligenz blenden lassen. Sie sollten stattdessen kritisch hinterfragen, wie die KI entwickelt wurde, anhand welcher Daten das System lernt und wo die Grenzen des theoretischen Konstrukts liegen, auf dem es aufbaut. Würde man beispielsweise die gesammelten Daten deutscher DAX-Konzerne analysieren und die Qualität der Einstellungen daran messen, ob und wie oft ein Mitarbeiter befördert wird, würde eine objektive statistische Analyse die Einstellung von männlichen Mitarbeitern bevorzugen.
Denn die Empirie sagt, dass es deutlich mehr Männer in die Führungsetagen schaffen. Ein nüchternes System sieht diese Korrelation und unterstellt die Kausalität "nicht geeignet, weil Frau", obwohl die eigentlichen Gründe meist ganz woanders liegen – unter anderem in bestehenden Strukturen oder systemischen Benachteiligungen.
Datengetriebenes Recruiting
Recruiting-Budgets sind begrenzt, der Arbeitskräftemangel hoch. Für Recruiter bedeutet das, die vorhandenen Mittel und Ressourcen so effizient wie möglich einzusetzen. Das gelingt dann, wenn Entscheidungen datenbasiert getroffen werden. Heute sind in Unternehmen so viele Daten verfügbar, dass sie – richtig ausgewertet – wertvolle Erkenntnisse liefern. Vorausgesetzt, der Datensatz ist korrekt, konsistent und komplett.
Dazu zählen Informationen zu den jeweiligen Stellenanzeigen wie Beruf, Titel, Inhalt oder Branche, aber auch die Daten zu Werbekampagnen, also Kosten pro Anzeige oder Klick sowie Performance-Daten wie Views, Klicks und abgeschlossene Bewerbungen. In der Analyse selbst wird dann nach Korrelationen zwischen den Merkmalen einer Stelle und den Performance-Daten einer bestimmten Quelle gesucht. Auf diese Weise können Unternehmen Rückschlüsse ziehen, welche Zielgruppen auf welchem Kanal zum bestmöglichen Preis erreicht werden können. So lassen sich die Kosten pro Bewerber tendenziell um 20 bis 30 Prozent reduzieren. Gerade Unternehmen mit einem hohen Personaldurchlauf, darunter Personaldienstleister, Logistiker oder Einzelhändler, profitieren hier besonders.
Programmatic Job Advertising
Ein erfolgreiches Recruiting erfordert heutzutage eine genaue Definition der Zielgruppe und ihrer Bedürfnisse, einen abgestimmten Maßnahmenmix sowie zielgerichtete Investitionen. Das konsequent und erfolgreich umzusetzen, erscheint durch die große Anzahl an Online-Plattformen, Marktplätzen und Social-Media-Kanälen oftmals schwierig. Dazu kommen die unterschiedlichen Eigenschaften der relevanten Zielgruppen oder neue Recruiting-Angebote von Software-Riesen wie Google oder Facebook.
An dieser Stelle wird Programmatic Advertising interessant. Mit Hilfe von Big-Data-Analysen werden die richtigen Kanäle für die verschiedenen Zielgruppen bestimmt und die Stellenanzeigen entsprechend ausgespielt. Dabei lässt sich nicht nur nach Tätigkeitsbereich oder Alter differenzieren, sondern auch nach den individuellen Umständen der jeweiligen Region. Gleichzeitig können Recruiter die Kanäle ermitteln, die am besten auf die Verhaltensweisen der verschiedenen Altersgruppen einzahlen. Denn wer seine Strategie auf die jüngere Zielgruppe zuschneidet, wird mit der klassischen, auf Desktop optimierten Anzeige, nicht weit kommen.
Kommunikation in Echtzeit
Auch die Art der Kommunikation muss auf die digitalen Bedürfnisse der Bewerber abgestimmt sein. Gerade die Generation Z ist vorwiegend digital und in den sozialen Netzwerken aktiv. Daher sollten Recruiter Kanäle wählen, über die eine Kommunikation in Echtzeit möglich ist. Ansonsten laufen sie Gefahr, dass mit der Kontaktaufnahme und der Kommunikation bei vielversprechenden Kandidaten zu viel Zeit verstreicht. Ergänzende Tools wie Chatbots bieten sich unterstützend an.
Sie ermöglichen eine "Instant-Communication" unabhängig von den Arbeitszeiten des Recruiters. Da sich die meisten Bewerber in einem Beschäftigungsverhältnis befinden, ist ihre Erreichbarkeit während den normalen Arbeitszeiten der meisten Recruiter eher schlecht. Gleichzeitig sind gute Chatbots in der Lage, die Bewerbung schnell zu klassifizieren und zielgerichtete Fragen zu stellen, die für den Recruiter relevant sind. Auch wenn ein Chatbot vielleicht nicht auf alle Fragen eine Antwort hat, ist er eine Geste des Arbeitgebers, es Bewerber so leicht und angenehm wie möglich machen zu wollen.
Fazit
Sich mit dem Thema Digitalisierung auseinanderzusetzen, um auf dem Arbeitsmarkt der Zukunft bestehen zu können, ist für Unternehmen wohl wichtiger denn je. Denn nur wer seine Zielgruppe mit einem individuell abgestimmten Mix über verschiedene Kanäle anspricht und zusätzlich datengetriebene Analysen zurate zieht, hat hier wirklich eine Chance.
Autor:
Thilo Plikat ist Head of Business Development bei GermanPersonnel.