Marken in der Coronakrise:
Wie Achtsamkeit zur neuen Währung der Werbung wird
Die Coronakrise hat eine neue digitale Nähe erzeugt. Auch zwischen Marken und ihren Kunden. Wie Unternehmen diese Dynamik für ihre Markenführung einsetzen können, erklärt Philipp Thurmann von Buddybrand.
Die Coronakrise ist eine Ausnahmesituation für uns alle – insbesondere aber auch für Werbung und Markenführung. Was noch vor wenigen Wochen die coole Kampagnenidee war, wirkt jetzt unpassend, möglicherweise gar markenschädlich. Doch was ist der neue Status Quo, auf den sich Marken in den nächsten Monaten einstellen müssen und welche Schlussfolgerungen können sie aus anderen Krisen der Vergangenheit ziehen?
Auffällig ist zunächst einmal das gestiegene Mediennutzungsverhalten. Schlagartig gewinnen die Medien durch #Stayathome und Mitarbeitende im Homeoffice, aber auch durch die Unsicherheit d erMenschen und deren Suche nach korrekten und belastbaren Informationen eine neue Deutungshoheit. Sowohl das gute alte Linear-TV als auch das Internet und die sozialen Netze werden derzeit mehr und intensiver genutzt als sonst.
Ein positiver Effekt für Werbetreibende: Soziale Medien wie Facebook und Instagram bieten aktuell einen extrem niedrigen Cost-per-Mille (CPM), der – themenübergreifend – rund 48 Prozent unter dem Niveau des gleichen Monats des Vorjahres liegt. Die Media-Kosten im Werbeumfeld bei Facebook und Instagram gaben im Zuge der Coronakrise also deutlich nach, was natürlich auch zu günstigen Preisen für Interaktionen, also für Reactions, Comments und Shares, führt.
In den sozialen Medien finden wir erwartungsgemäß eine Flut an Content, der sich mit dem Coronavirus befasst – und zahlreiche Hashtags aus diesem Kontext werden zu Trending Topics. Mitgefühl, Memes und Galgenhumor transportieren ein Zusammenrücken, das in dieser Form und Ausprägung noch nie da war.
Kunden schätzen Aufrichtigkeit und Haltung
Diese solidarische Haltung wirkt sich – kanalübergreifend – auch auf die Kommunikation der Unternehmen aus: Gefragt ist bei der Markenkommunikation mehr denn je Aufrichtigkeit und Authentizität. Die Menschen suchen nach Marken, die ihnen Sicherheit bieten können. Sie wollen gerade angesichts des geschlossenen Präsenzhandels die Gewissheit haben, dass die von ihnen gewählten Anbieter die Kontrolle über ihre Lieferketten behalten.
Neben dieser Vertrauenswürdigkeit geht es aber auch vermehrt darum, dass Marken einen echten Mehrwert schaffen und verantwortungsbewusst handeln – Mitarbeitern und Geschäftspartnern gegenüber ebenso wie Kunden und Fans. Das erklärt vielleicht auch recht gut den Shitstorm, der insbesondere Adidas stellvertretend für mehrere Handelskonzerne entgegenschlug, als das Unternehmen erwog, Mietzahlungen für die eigenen Ladengeschäfte zunächst auszusetzen.
Bemerkenswert ist aber auch eine andere Beobachtung der letzten Tage: Denn der Begriff Social Distancing ist eigentlich falsch gewählt. Es müsste eher von Physical Distancing gesprochen werden, weil insbesondere durch die Reduzierung der persönlichen Kontakte die Achtsamkeit und die Sensibilität in den sozialen Medien zugenommen haben.
Menschen zu erreichen, ist somit für Marken angesichts zunehmender Verweildauer der Zielgruppen sogar leichter und effektiver geworden. Und einige Unternehmen zeigen – mit den Umständen entsprechend einfachen Mitteln –, wie man diese wertschätzende Haltung gut transportieren kann: Edeka und Aldi stellen etwa Alltagshelden aus den eigenen Reihen in den Fokus – und selbst der auf Mobilität fokussierte Mercedes-Konzern appelliert an das Verantwortungsbewusstsein und die Vernunft, man möge daheim bleiben.
Warum Einsparungen beim Mediabudget der falsche Weg sind
Doch was heißt das für die Marketing-Budgets angesichts einer gleichermaßen neuen wie unsicheren Situation, von der niemand vorhersagen kann, ob sie nur einige Wochen andauert oder in einer lang andauernden Rezession mündet? Klar ist, dass Kreativität und unkonventionelle Ansätze der Kommunikation gerade in Krisensituationen funktionieren können.
Betrachten wir dazu einige Beispiele aus der Vergangenheit: McDonald’s verlor etwa während der US-Rezession Anfang der 90er Jahre Marktanteile und Umsatz an die Mitbewerber Taco Bell und Pizza Hut, weil man bei den Werbebudgets zu stark auf die Bremse trat. Amazon dagegen schaffte es, in den Folgejahren der Bankenkrise von 2008, sich mit innovativen Vermarktungsstrategien und disruptiv-neuartigen Produkten wie dem Kindle auch langfristig als innovatives Unternehmen zu positionieren.
All das zeigt, dass Unternehmen gut beraten sind, ihre Marketingbudgets jetzt nicht um jeden Preis einzufrieren, wie dies beispielsweise Coca Cola angekündigt hat. Marken können diese Sondersituation der neuen digitalen Nähe für sich nutzen und – aller Unsicherheit und den schlechten Nachrichten zum Trotz – die Krise als sozial verbindendes Element verstehen. Die Erfahrungen der Vergangenheit zeigen, dass kreatives Marketing und authentische Kommunikation gerade in schwierigen Zeiten besonders wirkungsvoll sein können.
Philipp Thurmann ist Gesellschafter und Geschäftsführer von Buddybrand. Der 38-Jährige Berliner verantwortet dort die Bereiche Strategie und Performance. Die digitale Kreativagentur begleitet internationale Markenunternehmen wie Smart, Deutsche Bahn oder Red Bull durch den digitalen Wandel.