Hinzuzufügen ist aus meiner Sicht noch ein wichtiger Punkt, der in der Debatte leider oft untergeht: New Work. Ohne Frage: Das ist eine zentrale und tolle Errungenschaft. Sie kann die Wirtschaft und Gesellschaft einen großen Schritt weiterbringen – wenn sie richtig gelebt wird. Davon sind wir noch ein gutes Stück entfernt. Weil wir New Work falsch interpretieren und in die falsche Richtung laufen.

New Work – da sprechen wir über die bekannten Dinge: Remote work, flexible Arbeitszeiten, 4 Tage-Woche und, und, und. Was heißt eigentlich wir? Es ist in erster Linie ein Forderungskatalog der zunehmend kleineren Zahl von Bewerber:innen. Unternehmen gehen darauf (stillschweigend) ein, weil sie meinen, anders würden sie die Talente nicht mehr bekommen. So ist ein Bieterwettbewerb um die attraktivsten Incentives entstanden. Man kann das achselzuckend als Marktgegebenheit hinnehmen – kleineres Angebot bei wachsender Nachfrage, das wird dann eben teuer. Doch da sind wir sind schon in der Umsetzung, ohne überhaupt ein gemeinsames Verständnis und die strukturellen Voraussetzungen für New Work etabliert zu haben.

Wie mache ich New Work praxistauglich?

Eine solche Basis zu schaffen – das hat die Wirtschaft in weiten Teilen bisher versäumt. Sie müsste klarmachen, dass New Work kein Feenstaub ist, der die Arbeitswelt zauberhaft illuminiert, sondern ein vom HR gesteuerter Auswahlprozess, der dafür sorgt, dass die richtigen Mitarbeiter:innen die für sie exakt passende Position besetzen. Es geht darum, die intrinsische Motivation zu stimulieren, nicht die extrinsische.

Zugegeben: Das ist schwieriger zu vermitteln, klingt nach echter Arbeit, ist aber ungemein wirkungsvoller. Denn aktuell ist die Transformation der Arbeitswelt dabei, sich selbst zu überholen und enorme Kollateralschäden zu hinterlassen: Manager, die ihren inneren Kompass verloren haben, weil sie nicht mehr wissen, wie sie Teams führen sollen, die Quoten erfüllen müssen, obwohl ihnen operativ der Hut brennt, die neue Arbeitsmodelle etablieren sollen, obwohl schon jetzt viel zu wenig Fachkräfte für viel zu viel Arbeit da sind. Ein Spagat, an dem immer mehr zerbrechen und sich fragen: Bin ich hier überhaupt noch richtig?

HR muss den Entzug einleiten

Wenn also New Work ein ebenso süßes wie leider auch wirksames Gift ist, sollten wir jetzt schleunigst mit dem Entzug beginnen: Wir - damit meine ich ganz besonders die Personal-Abteilungen, die HR-Manager. "Arbeit, die man wirklich, wirklich will" – das ist ein ganz zentrales Postulat von New Work-Pionier Frithjof Bergmann.

Nur: Mit Obstkorb und Workation werden wir diesen Ansprüchen nicht gerecht. Ein paar Äpfel und zwei, drei spaßige Agenturausflüge im Jahr für ein erfülltes Arbeitsleben? C’mon, das glaubt doch ernsthaft keiner mehr. Für Bergmann ist das Überprüfen von Strukturen und Prozessen deshalb ein wichtiger Schritt, damit die Menschen den Sinn in ihrer Arbeit erkennen bzw. erst entdecken.

Was dabei häufig vergessen wird: Strukturen und Prozesse sind nicht abstrakt, sondern werden tagtäglich in den Büros, Läden, Fabriken gelebt. Strukturen und Prozesse überprüfen, ohne eine tiefgehende Personaldiagnostik? Das ist wie der Wunsch Netflix zu schauen, ohne Internetanschluss. Unmöglich also.

Viele Unternehmen drücken sich vor einer solchen Personaldiagnostik wie der Angstpatient vor dem Zahnarzt. Weil es manchmal zwar guttut, zu sehen, dass die richtigen Personen auf den richtigen Jobs sitzen, manchmal aber auch ganz schön wehtun kann, weil wir erkennen müssen, dass das eben nicht der Fall ist. Doch Freiheit und Selbstverantwortung, die zwei zentralen Werte von New Work, verlieren an Wert, wenn die Tätigkeit selbst die falsche ist.

Viele Arbeitnehmer:innen können das tatsächlich gar nicht mehr erkennen, weil sie sich im Laufe ihres Berufslebens ein Verhalten antrainiert haben, das den Erwartungen an den Job entspricht, aber nicht mehr ihrem eigenen Ich. Dann braucht es den Blick von außen. Personaldiagnostik, die weit über das bekannte DISG-Modell hinausgeht, kann das. Wollen wir New Work richtig anwenden, müssen wir jetzt hier handeln. Mittelfristig wird dieser Change-Prozess gleichermaßen die Organisationen und die Menschen, die darin arbeiten, stärken.

Zur Autorin: Daniela Conrad ist Co-Gründerin und Executive Partner der Personalberatung Five14. Zu den Kunden von Five14 gehören u.a. Evalue, Seedtag, oder auch die Ströer SE. Conrad ist Mit-Herausgeberin des FAZ-Buches „The Unknown Is The New Normal“ und war in der Vergangenheit u.a. für Hapag-Lloyd, TUI und TAG AG tätig.

Du suchst spannende Anregungen rund um New Work und Employer Branding? Dann hol dir jede Woche den Newsletter Good Morning HR. Melde dich gleich an

Der Kununu-Gehalts-Check: Wo sich ein Marketing-Job besonders lohnt: Zur Auswertung.

Gleich am Morgen das Wichtigste aus Marketing, Agenturen und Medien erfahren? Starte mit dem W&V Morgenpost-Newsletter bestens informiert in den Tag. Melde dich hier an.


Autor: W&V Gastautor:in

W&V ist die Plattform der Kommunikationsbranche. Zusätzlich zu unseren eigenen journalistischen Inhalten erscheinen ausgewählte Texte kluger Branchenköpfe. Eine:n davon habt ihr gerade gelesen.