Derzeit hält die aktuelle Gesetzeslage oft nicht Schritt mit neuen Entwicklungen. Die großen Tech-Unternehmen schaffen oft Fakten, ehe die Gesetzgeber reagieren können. Frühere Wettbewerbsstrafen etwa gegen Google und Amazon wurden erst nach jahrelanger Untersuchung verhängt. Für mögliche Konkurrenten, die mit unfairen Praktiken verdrängt wurden, ist es dann zu spät.

EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton betonte zwar, die Vorschläge richteten sich gegen kein bestimmtes Unternehmen - allerdings ist offensichtlich, wen sie besonders treffen würden. Facebook zeigte sich in einer ersten Reaktion dennoch aufgeschlossen für die Vorschläge. Man begrüße einheitliche EU-Regeln und mehr Verantwortung dafür, schädliche Inhalte zu löschen, sagte ein Sprecher.

Karan Bhatia von Google zeigte sich hingegen besorgt, dass die Vorschläge "offenbar speziell auf eine Handvoll Unternehmen abzielen und die Entwicklung neuer Produkte zur Unterstützung kleiner Unternehmen in Europa erschweren". Man werde die Vorschläge in den kommenden Tagen sorgfältig prüfen.

Die EU-Kommission geht die aktuellen Probleme gewissermaßen von zwei Seiten an. Das Gesetz für digitale Märkte (Digital Markets Act, DMA) befasst sich mit den wettbewerbsrechtlichen Aspekten. Das Gesetz für digitale Dienste (Digital Services Act, DSA) geht gesellschaftliche Fragen an. Bevor die Vorschläge der EU-Kommission umgesetzt werden, müssen EU-Staaten und Europaparlament sich noch auf eine Linie verständigen.

Der DSA sieht nun vor, dass alle Online-Plattformen bestimmte Regeln beachten müssen - die großen Anbieter aber deutlich mehr als die kleinen. Unter anderem müssten Online-Plattformen ihre Werbung und auch ihre Empfehlungsalgorithmen transparenter machen. Nutzer sollten wissen, warum ihnen die Produkte bestimmter Anbieter weiter oben angezeigt werden - und andere gar nicht, sagte Vestager. Illegale Inhalte wie Hassrede oder Missbrauchsdarstellungen müssten zudem zügig entfernt werden. Zugleich müssten Nutzer die Möglichkeit zur Beschwerde haben. Marktplätze wie Amazon müssten die Anbieter auf ihrer Seite überprüfen, damit weniger gefälschte Ware im Netz landet.

Bei Verstößen gegen diese Vorgaben sind Strafen von bis zu sechs Prozent des jährlichen Umsatzes vorgesehen - bei den Tech-Riesen ginge das schnell in die Milliarden. Besonders große Plattformen, die von mehr als zehn Prozent der EU-Bevölkerung (rund 45 Millionen) genutzt werden, müssten sich außerdem der Aufsicht eines neuen Europäischen Ausschusses für digitale Dienste stellen.

Verantwortung für Gatekeeper

Der DMA richtet sich gegen sogenannte Gatekeeper, die erhebliche Auswirkungen auf den Binnenmarkt haben, und soll für faireren Wettbewerb sorgen. Als Gatekeeper bezeichnet die EU-Kommission auch solche Dienste, über die viele Business-Kunden ihre Kunden erreichen. Wer ein solcher Gatekeeper ist, muss bestimmte Vorgaben erfüllen. Dazu zählt etwa, dass die Daten von Anbietern, die die eigene Plattform nutzen, nicht gegen eben diese Anbieter benutzt werden dürfen, wie Vestager sagte. Ein solches Vorgehen wird beispielsweise Amazon auf seinem Marketplace vorgeworfen.

Auch müssten Gatekeeper, wenn sie einen neuen Dienst entwickeln, Interoperabilität mit den Diensten anderer - kleinerer - Unternehmen sicherstellen. Zudem soll das Bevorzugen eigener Angebote verboten sein: Diese dürften nicht höher angezeigt werden als andere. Wer gegen diese Vorgaben verstößt, dem drohen Strafen bis zu zehn Prozent des jährlichen Umsatzes. Im Härtefall droht die EU-Kommission auch mit der Zerschlagung eines Unternehmens.

Allerdings wären dann lange und kostspielige Gerichtsverfahren absehbar. Die US-Regierung und 40 Bundesstaaten wollen wegen unfairen Wettbewerbs schon jetzt vor Gericht die Zerschlagung von Facebook, dem auch der Messenger-Dienst Whatsapp sowie die Foto-App Instagram angehören, erreichen.

Das plant Großbritannien

Die britische Regierung will Maßnahmen gegen Online-Konzerne ergreifen, die nicht ausreichend gegen schädliche Inhalte auf ihren Plattformen vorgehen. Das geplante Online-Sicherheitsgesetz solle "ein neues Zeitalter der Verantwortlichkeit" für Social-Media-Plattformen einläuten, schrieb Digitalminister Oliver Dowden am Dienstag in einem Gastbeitrag im "Telegraph".

Facebook, Instagram, TikTok und andere Anbieter sollen zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie schädliche Inhalte - etwa Hasskriminalität oder Abbildungen von Missbrauch - nicht von ihren Plattformen entfernen. Die britische Regulierungsbehörde Ofcom soll in solchen Fällen Strafen von bis zu 18 Millionen Pfund oder zehn Prozent des Unternehmensumsatzes verhängen können. Sollten die Konzerne dies nicht ernst nehmen, könnten rechtliche Schritte gegen Firmenverantwortliche folgen.

Die Maßnahmen sollen nach dem Willen der Regierung auch bei Verstößen innerhalb privater Kommunikationskanäle wie Messaging-Dienste oder geschlossenen Social-Media-Gruppen zum Einsatz kommen. Man sei sich des potenziellen Eingriffs in die Privatsphäre der Nutzer bewusst, hieß es - wolle diese Maßnahmen aber nur als "letzten Ausweg" nutzen.

Michel Winde und Christopher Hirsch, dpa/dpa