Die kommunikativen Stunts der chinesischen E-Commerce-Giganten werden immer größer, umfassender und atemberaubender. Dazu gehören Spiele. Alibaba katapultiert sich und seine Partner-Marken in den 24-Stunden zuvor mit Dauerbeschallung in die Herzen der Chinesen. Der eigentliche Höhepunkt folgt am 11.11.

Wochen vor dem Event nehmen bereits hunderte Millionen Chinesen an mobilen Games teil, bei denen Punkte, Gutscheine und kleine Geschenke gesammelt und am Singles Day für das langersehnte Lieblingsprodukt eingelöst werden können. Bei einem Singles Day Pop-up Event in Sanlitun, Peking, kamen viele hundert Chinesen, um Punkte zu sammeln. Zentral sind für Alibaba die Shopping Apps von Taobao und Tmall. Hinzu kommt Youku als Video-App auf der diverse Events gezeigt werden und auch die große Gala live abgerufen werden konnten.

Der Trick beim Shopping: Die Konsumenten sollen die begehrten Produkte vorher in den Einkaufswagen packen und pünktlich um 0:00 Uhr am 11.11. auschecken, nur so erhalten sie den größtmöglichen Rabatt. Auch wenn das ein alter Zauber ist, das Gefühl auf Mitternacht zu warten, fühlt sich trotzdem jedes Jahr wie Silvester an.

Die zahlreichen Spiele und Aktionen vor dem 11.11. bringen die Kunden richtig in Stimmung. Der phasenweise Launch und die dramaturgische Steigerung sind aufs Genaueste choreographiert und mit viel Erfahrung aus den letzten Jahren sowie den dazugehörigen Daten optimiert. 

Die Erkenntnis: eBay dürfte in Deutschland das letzte Mal diese Aufregung ausgelöst haben. Für die jüngeren Leser: Es gab und gibt vielleicht noch Zeiten, in denen sich eBay Käufer den Wecker mitten in der Nacht gestellt haben, um ihre Auktion nicht zu verpassen. Schade eigentlich. Eine Gamification des Shoppings dürfte auch in Deutschland funktionieren – nur dafür muss es gut gemacht sein.

Der Alibaba Dreizack: Die Shopping Apps von Taobao und Tmall. Außerdem Youku als Video-App auf der u.a. der Live-Stream der großen Gala abgerufen werden konnte

Der Alibaba Dreizack: Die Shopping Apps von Taobao und Tmall. Außerdem Youku als Video-App auf der u.a. der Live-Stream der großen Gala abgerufen werden konnte

 

Commerce everywhere – Maximale Vernetzung aller Kanäle

Eigentlich ist nicht ganz klar wo der 11.11. inzwischen stattfindet. Grenzen zwischen online und offline spielen keine Rolle mehr — der Weg ist frei zum kontinuierlichen Kaufrausch, egal wann und wo. In China gelingt also etwas, was vielen Marken und Händlern in Europa schwer fällt: Die stationären Geschäfte profitieren von Online-Kanal. Der Singles Day als Shopping-Event kann getrost der Plattform Alibaba zugeschrieben werden. Aber er ist längst nicht mehr nur eine Traffic-Maschine für das Web, sondern auch ein Frequenzbringer für den stationären Handel.

Die Marken und Omni-Channel-Unternehmen gewinnen spielerisch Kundendaten mit smarten Mechaniken über alle Kanäle. Der Konsument findet in China diese lockere Verknüpfung attraktiv. Kanaldenke ist dem Chinesen fremd – Hauptsache der Konsum macht Spaß. Das könnte durchaus auch für deutsche Konsumenten gelten.

Singles Day Promotion im Godiva-Store - da passen auch Weihnachtsschachtel ins Konzept

Singles Day Promotion im Godiva-Store - da passen auch Weihnachtsschachtel ins Konzept

All-in-One – Kollaboration im Handel

Keinem Konsumenten entgeht die massive Werbepräsenz im Vorfeld des Singles Day. Kein Wunder. Sowohl Alibaba als auch die beteiligten Marken und Händler integrieren die Elemente des Singles Day in ihre Kommunikation über alle Kanäle hinweg.

Allerdings war dieser Mindchange in China auch nicht von einem Tag auf den anderen möglich - dort war der Shopping-Part lange nur eine Sonderaktion, ähnlich wie es mit dem "Black Friday" in Europa gehandhabt wird. In den USA hingegen ist dieser Shopping-Tag - der unbestritten auch Vorbild für den Singles Day war - hingegen ein gesellschaftliches Thema. So wie es der "Winterschlussverkauf" in Deutschland einmal war. 

Plakate für den Singles Day inklusive Hinweis auf die Apps

Plakate für den Singles Day inklusive Hinweis auf die Apps

Life is live – Streaming is the new normal

Konsumenten lassen sich Produkte im Live Stream ganz genau erklären. Interaktiv mit dem Hersteller in Echtzeit zu kommunizieren und dabei seine Meinung nicht zurückzuhalten, gilt als normal. Multi-Streaming-Kanäle unterstützen diese neue Form des Shoppens. Das gilt natürlich auch für mobile – für viele Chinesen die einzige Form des Internetkonsums.

So entstehen ständig völlig neue Experience-Momente für Konsumenten. Etwas, das in Deutschland noch in den Kinderschuhen steckt. Mobiles Live-Streaming der großen 11.11. Gala-Show. Parallel stellen KOLs (Key Opinion Leaders) auf unterschiedlichen integrierten Kanälen Produkte vor.

Singles Day – Der Weg ist das Ziel in Richtung International

Das Thema "Global Shopping Festival" unterstreicht den unbedingten Willen von Alibaba, noch internationaler zu agieren. Der 11.11. wird global. Konsumenten außerhalb von China konnten in vielen Teilen der Welt unverschämt günstige Produkte aus China kaufen, etwa über Ali-Express und Lazada (eine Shopping-Plattform aus Singapur, die Alibaba 2016 akquiriert hat).

In Deutschland hat davon vermutlich kaum jemand etwas bemerkt. Der Grund ist einfach erklärt: Indien, Indonesien, Korea, ganz Südostasien und auch Australien sind Märkte mit mehrerwen Milliarden Menschen. Für Alibaba also viel spannendere Märkte, als der anspruchsvolle und gesättigte deutsche Markt.

Alibaba nutzt den Singles Day auch, um sich auf die Zukunft vorzubereiten. Laut dem Konzern war die Auslastung der Server, der Logistiknetzwerke gemessen in Transaktionen pro Sekunde am Singles Day genauso hoch wie zwei oder drei Jahre später im Normalbetrieb.

2010 konnte Alibaba schon erahnen, was auf ihre Infrastruktur im Jahre 2013 zukommen würde. Die Teile des Konzerns aus Ali Cloud, der Cainiao Logistik Plattform, die Bezahlsysteme, den Warenhäusern, Ele.me (Food Delivery) sowie die Lieferflotten und viele weitere Puzzelteile werden auf diesen Erfahrungswerten weiter ausgebaut, optimiert und neu konzipiert. Clever, oder?

Wissen Sie welche Anforderungen in drei Jahren auf Sie zukommen?

Umsatzetwicklung von Alibaba beim Singles Day (Angaben in Mrd. Renmimbi, 1000 CNY entsprechen in etwa 130 Euro)

Umsatzetwicklung von Alibaba beim Singles Day (Angaben in Mrd. Renmimbi, 1000 CNY entsprechen in etwa 130 Euro)

Alibaba und die anderen Räuber

Der 11.11. bewegte sich offline, online, im gesamten Alibaba-Ökosystem und darüber hinaus noch bei vielen anderen E-Commerce-Playern. Um das Zugpferd Alibaba gesellen sich längst Marktteilnehmer wie JD.com, der Elektromarkt Suning, Newcomer Pinduoduo, Social Commerce Anbieter XiaoHongShu / Red, Short-Video-Plattform Douyin (die chinesische Variante von Tik Tok/Musical.ly) oder Local Service Anbieter Meituan.

Auch Aldi und Intersport sind dabei. Es fühlt sich fast an, wie zu Weihnachten bei uns. Über den Preis hinaus übertrumpfen sich die Wettbewerber mit Spiel-Mechaniken und raffinierten Mehrwertkonzepten, um den Konsumenten einzubeziehen. Der Aldi-Spot dem Protagonisten Albert Einstein lief beispielsweise im Rahmen der großen 11.11. Gala Show im TV und im Live-Streaming.

Aldi-Spot für den Singles Day in China mit Albert Einstein

Aldi-Spot für den Singles Day in China mit Albert Einstein

Das Learning – Reinventing Retail

Beim Singles Day geht es um weit mehr als Abverkauf. Schon die schnelle Analyse zeigt, dass mehr dahinter steckt: Partnerschaften bilden, neue Technologien vorstellen, Markenbildung vorantreiben, sich zukünftigen Herausforderungen des Konsumenten stellen sowie neue Märkte erschließen. Und nebenbei werden agile Prozesse gefördert.

Genau deswegen ist China so schnell, so laut und bunt. Der Aufwand ist beträchtlich. Händler und Marken planen ihre Aktionen für den Singles Day bereits ein bis zwei Jahre im Voraus. Wer sich also auch ins chinesische Markengetümmel stürzen will, sollte jetzt schon für 2020 vorplanen.

China darf durchaus als Inbegriff des proaktiven Wandels oder der konstanten Transformation angesehen werden. Der Singles Day ist nicht nur wegen der großen Zahlen und der überschwänglichen PR-Aktionen relevant. Für chinesische Plattformen ist es ein wichtiger Baustein für die Vision, den Handel neu zu erfinden und sich damit die Zukunft selbst zu schaffen. Alles ist im permanenten Wandel. Wobei, eine Konstante lässt sich ausmachen: Im Mittelpunkt steht immer der Kunde — ausnahmslos.

Der Autor Karl Krainer hat 2010 die Beratung Gedankenfabrik gegründet. Zuvor war er unter anderem für das Marketing bei Google, Radio.de und eBay verantwortlich. Davor 10 Jahre sammelte er bei FMCG-Firmen wie P&G, Apollinaris&Schweppes und Coca-Cola Markenerfahrung. Seit acht Jahren reist er regelmäßig nach China - präferiert in der Zeit des Singles Days.

lp


Autor: W&V Gastautor:in

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