Spricht man von Gamification, geht es unweigerlich um "Spielertypen". Für welche Kundengruppen - und dementsprechend: für welche Unternehmen - könnte sich die Gamification des Einkaufserlebnisses eignen?

Der Spieltrieb ist ein angeborenes Verhalten bei uns Menschen – insofern wären nahezu alle Kundengruppen für Gamification empfänglich. Aber natürlich sprechen spielerische Elemente primär Kundengruppen an, die der Marke gegenüber ohnehin schon verbunden sind als Neukunden. Doch auch bei Bestandskunden ist Gamification nicht pauschal für jedes Segment einsetzbar. Neben einer rein analytischen Segmentierung betrachten wir bei der Konzeption daher auch die einstellungsbezogenen Merkmale der Segmente, um das Gamificationkonzept auf die Bedürfnisse abzustimmen.  

"Der Spieltrieb ist ein angeborenes Verhalten bei uns Menschen"

So lassen sich einige Segmente zum Beispiel durch eine Verknappung des Angebots zur Aktivität bewegen. Der US Luxus-Retailer Gilt setzt dieses Mittel in seinem Shopping-Club gezielt ein. Die dort angebotenen Artikel üben in Teilen von sich schon eine hohe Begehrlichkeit aus. Um die Entscheidung – wir sprechen hier immerhin von hochpreisigen Produkten aus dem Luxus-Segment – zu beschleunigen – werden die Produkte in Flash-Aktionen nur für kurze Zeit angeboten und über einen Countdown zusätzlicher Druck erzeugt.

Ziel ist es, die Zielgruppe der Schnäppchenjäger durch die Verknappung des Angebots vom Preisvergleich abzuhalten – die Mechanik ist aus dem Teleshopping bekannt. Um das zu umgehen, kann sich der Kunde für Einkäufe oder besondere Verhaltensweisen Punkte sammeln und verschiedene Clubstufen "hocharbeiten". Und je höher die Clubstufe, desto früher kann ich als Kunde die Ware kaufen.

Bei anderen Segmenten wiederum greift das gemeinschaftliche Erlebnis – insbesondere Familien zählen zu dieser Gruppe. Dieses Erlebnis stellen die Einzelhändler von Germering jedes Jahr beim großen Osterevent in den Vordergrund und laden Familien zur kollektiven Ostereiersuche ein.

Die Möglichkeit, über Gamification eine Differenzierung zu schaffen und die Beschäftigung mit der Marke zu forcieren ist daher zunächst für nahezu jeden Retailer interessant. Jedoch fällt es bei starken Marken und Produkten mit höherem Involvement leichter, passende und treffende Gamification Konzepte zu finden. Bei langlebigen Gebrauchsgütern oder Finanzdienstleistungen ist es sicherlich aufwändiger, doch kann auch hier die Pre- und Aftersales-Phase durch Gamification emotionaler gestaltet werden.

Bei allem Spiel und Spass ist die wirtschaftliche Komponente nicht außer acht zu lassen. Gerade bei langfristigen Spiel-Ideen oder Mechaniken, die einen programmatischen Ansatz unterstützen, ist eine fundierte Planung Grundlage für die Ausgestaltung. Eine gute Spielidee ist nicht nur Spaß und Emotion, sondern muss sich auch in den Umsatz- und Ertragszahlen niederschlagen.

"Spielen" ist ein Teil des menschlichen Wesens und in vielen Bereichen schon Kulturgut. Wettbewerbe und Erfolgserlebnisse erzeugen ein gutes Gefühl. Wie ließe sich das während einem Einkaufserlebnis oder in der Pre- und After Sales Phase nutzen?

Einige Spiel-Modelle erzeugen durch das kollektive Erlebnis, den Vergleich mit anderen „Mitspielern“ ein Gemeinschaftsgefühl. Aus dieser Zugehörigkeit zur Gruppe entspringt dann ein positives Empfinden und das Bedürfnis nach Wiederholung. Andere Modelle setzen eher auf den persönlichen Anreiz, in dem bereits erworbenen Leistungen aufgezeigt und Ziele abgeleitet werden. Beide Modelle können genutzt werden, Aktivitäten auszulösen. Andererseits bietet ein Spiel die Möglichkeit, eine Geschichte zu erzählen, also einen roten Faden als verbindendes Element zwischen verschiedenen Funktionen zu schaffen.

So haben viele Einzelhändler bereits einige Maßnahmen entwickelt, um die Pre- und Aftersales-Phase zu stärken. Man denke nur an Produktbewertungen, Weiterempfehlungen oder Aftersales-Befragungen, die bei vielen Online-Shops eingerichtet, aber häufig nicht im geplanten Umfang genutzt werden bzw. kanalübergreifend wirken. Mit Gamification können diese in einen anderen Zusammenhang gestellt und damit die Nutzung und die Qualität dieser Elemente verbessert werden. Beispielsweise könnte der user ein Badge oder einen besonderen Status für besonders viele oder besonders hilfreiche Produktbewertungen erhalten. Durch diese win-win-win Situation profitiert der Teilnehmer durch den besonderen Status, der Kunde durch besonders hilfreiche Produktbewertungen und das Unternehmen durch qualitativ guten Content.

Aber auch eine langfristige Einbettung von Gamification in Loyalitätsprogrammen – sei es durch Badges, einen Status für besondere Aktivitäten oder besondere hohe Umsätze, aber auch die Anzeige eines "Fortschrittsbalkens" der das Erreichen der nächsten Clubstufe anzeigt, bewirken nachweislich eine Veränderung des Einkaufsverhaltens des Kunden. Gerade diese Information, kurz vor dem Ziel zu stehen bewirkt beim Kunden einen zusätzlichen Anreiz und Frequenz-Push. Bemerkenswert ist auch, dass der Teilnehmer bei diesen Zusatzeinkäufen weniger auf Rabatte, Nachlässe oder Angebote schaut, was sich in höheren Erträgen niederschlägt.  

Gute Games erzielen nach allgemeinem Verständnis neben dem Erfolgserlebnis immer auch einen "Lerneffekt". Was kann man seinem Kunden "beibringen" und dann letztendlich für den eigenen Erfolg nutzen?

Genau dieser "Lerneffekt" ist ein wichtiger Punkt in der Konzeption bzw. dem Einsatz von Gamification. Trotz allem Spaß und Lockerheit müssen beim Spiel bestimmte Regeln aufgestellt und eingehalten werden. Erreicht ein Kunde das Ziel nicht, darf auch keine Belohnung erteilt werden. Klingt erstmal einfach, doch erfahrungsgemäß scheuen sich viele Unternehmen in der Praxis dann doch, dem Kunden die Belohnung vorzuenthalten, um ihn nicht zu verlieren.

Auch wenn es "von außen" einfach gesagt ist, unterstreicht eine konsequente Haltung in dieser Phase die Ernsthaftigkeit und Fairness der Aktion – auch gegenüber den anderen Kunden. Unsere Erfahrung zeigt, dass genau diese – teilweise sogar negativen – Erfahrungen beim Teilnehmer zusätzliche Motivation freisetzen und die Frequenz steigern können. Wer von Ihnen schon mal von miles and more auf den drohenden Verlust des Frequent-Traveller-Status hingewiesen wurde, kennt das Gefühl und die Energie, die diese Information auslösen kann. Wichtig ist jedoch, dass der Kunde für sich klar nachvollziehen kann, weshalb er die Belohnung nicht erreicht hat.

Dennoch ist die Sorge des Handels, den Kunden zu verärgern oder gar zu verlieren, nicht von der Hand zu weisen. Daher empfehlen wir, spielerische Elemente vorwiegend in der Pre- und Aftersalesphase einzusetzen.  

Stichwort User Experience: Gute Gamification Strategien basieren auf der Begeisterung des Kunden. Welche Ansätze gibt es, ihn zum Spielen zu motivieren?

Wie bei anderen Aktivitäten auch, können potentielle Teilnehmer über Motive wie Neugierde, Zugehörigkeit zu bestimmten Communities, dem Vergleich mit anderen Mitspielern, aber auch finanzielle Vorteile angesprochen werden. Letzteres, also Rabatte, Sonderangebote und ähnliches, schlägt sich auf die Kalkulation des Handels nieder und soll durch Gamification vermieden werden.

Gute Erfahrungen haben wir mit Aufgabenstellungen in Form von zu erreichenden "Stufen" im Rahmen des Programms gemacht. Die bereits erwähnten Fortschrittsbalken setzen bei vielen Kunden ungeahnte Aktivitäten frei. Zum Beispiel die Information, dass noch soundsoviel Euro Umsatz fehlen, um die nächsten Club-Stufe erreichen. Die genannten Werte sollten für den Kunden auch erreichbar sein.

"Die eigentliche Herausforderung ist, den Kunden im Spiel zu halten"

Wenn er innerhalb der nächsten Tage noch seinen durchschnittlichen Jahresumsatz tätigen soll, sorgt der Anstoß eher für Verärgerung beim Kunden. Daher ist auch hier eine gute Selektion und individuelle Ansprache Schlüssel zum Erfolg. Doch es müssen nicht immer nur Umsätze belohnt werden. Nescafé belohnt die Teilnehmer des my Nescafe Dolce Gusto Clubs auch für Aktivitäten, wie das Hochladen und bewerten von Rezepten, das Erstellen von Blogbeiträgen oder auch die Weiterempfehlung an Freunde mit Punkten.

Die Möglichkeiten, den Kunden anzusprechen und ins Spiel zu bringen, ist eher die einfachere Aufgabe. Die eigentliche Herausforderung ist, den Kunden im Spiel zu halten, da oft sehr schnell Gewöhnungseffekte eintreten. Und hier greifen wieder die Mechanismen eines Loyalty Programms.

Location Based Marketing oder Augmented Reality: In vielen Bereichen könnte man neue Technologien spielerisch mit dem stationären Handel verbinden. Wie könnte so etwas aussehen?

Es gibt zahlreiche Ansätze, wie diese neuen Technologien oder Trends im stationären Handel eingesetzt werden können. Ob Beacons, virtueller Kleiderschrank, magische Spiegel oder virtual Promoter – der stationäre Einzelhandel der Zukunft bietet immer mehr Möglichkeiten, den Kunden individuell anzusprechen, die Verweildauer in der Filiale zu steigern und gezielte Infos und Angebote zu unterbreiten.

Ich denke, wir stehen hier erst am Anfang der Entwicklung und es geht für den Handel darum, die passenden Technologien herauszugreifen und zu einer sinnvollen und nutzenstiftenden Lösung für den Kunden zusammenzuführen. Gamification kann hierzu das verbindende Element sein und einen zusätzlichen, emotionalen Mehrwert bieten. Andererseits wird Gamification durch die neuen Technologien erst richtig erlebbar und auf die Fläche gebracht.

"Gamification soll den Kaufprozess unterstützen, nicht davon ablenken"

Ein schönes Beispiel, wie die Interaktion mit dem Kunden am POS verbessert und Kontaktdaten gewonnen werden können, ist die "Open-Happiness-Kampagne" von Coca Cola. Hier wurde der User am Regal aufgefordert, über ein Tablet virtuelle "Eiswürfel" in ein Glas zu werfen. Bei Erfolg konnte der Kunde seine Kontaktdaten abgeben und erhielt einen Gutschein für eine Flasche Cola.

Bei aller Euphorie für moderne Technologien und pfiffige Spiel-Ideen sollte jedoch beachtet werden, dass Gamification den Kaufprozess unterstützen, aber nicht vom Kauf ablenken soll. Daher sollten spielerische Elemente während dem tatsächlichen Kauf eher sparsam eingesetzt werden.

Gibt es bereits Beispiele für gut gemachte Gamification?

Generell sind Online-Händler deutlich aktiver und häufig auch mutiger, was den Einsatz von Gamification angeht. Pureplayer wie Asos haben zahlreiche spielerischen Aktionen etabliert – von "pass the parcel" bis hin zum Bingo im Rahmen der MTV Music Awards – um nur einige zu nennen.

Der stationäre Handel hingegen ist noch mit durchgreifenden Gamification-Konzepten eher zurückhaltend, was sicher auch daran liegt, dass einerseits viele Technologien im Handel (noch) nicht implementiert sind und andererseits eine konsequente Ausrichtung an den Bedürfnissen des Kunden häufig an internen Prozessen scheitert. Allerdings arbeiten viele Retailer gerade an den technischen Grundlagen und einer kundenzentrischen Ausrichtung – in Verbindung mit den Erfahrungen aus einzelnen Aktionen ist es aus meiner Sicht nur eine Frage der Zeit, bis Gamification auch im stationären Handel Einzug hält.

Ein Beispiel für eine gelungene Aktion, in der ein aktueller Hype für eine spielerische Aktion genutzt und in Frequenz umgesetzt wurde, hat die Schweizer Warenhauskette Manor 2016 mit Pokémon Go umgesetzt: In den Filialen konnten gehäuft Pokémons eingesammelt werden. Als zusätzlichen Anreiz wurden über eine Social-Media-Aktion Screenshots der originellsten Monster, die unter Hashtag PokéManor auf Instagram gepostet wurden, mit Einkaufsgutscheinen belohnt.

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Autor: W&V Redaktion

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