Führung der Zukunft:
Wie Empathie Marken hilft, Stereotype zu vermeiden
Empathie trägt jeder Mensch in sich. Gerade in Zeiten von Dauerkrisen wird sie zum wichtigen Faktor. Für Menschen und Marken. Was das praktisch bedeutet, erklärt Theresa Ebel, Head of Empathy bei September Strategie & Forschung.
Frau Ebel, Sie haben den eher ungewöhnlichen Jobtitel "Head of Empathy". Was hat es damit auf sich?
Ich arbeite in einem psychologischen Marktforschungsinstitut. Vor gut zwei Jahren haben wir uns dazu entschieden, den aktuell brennenden gesellschaftlichen Themen einen eigenen Raum zu geben. Seitdem arbeiten wir an Themen, die aus unserer Sicht als gemeinsame Klammer das Thema "mehr Empathie" haben. Unsere Aufgabe beschreiben wir so:
- Unsere Mission: Empathie auf individueller, institutioneller und unternehmerischer Ebene zu erforschen und zu fördern und damit zu einem Diskurs für ein faires und konstruktives Miteinander beizutragen.
- Unsere Arbeit: Bedürfnisforschung, Beratung, Trainings & Ideenschmiede am Puls des Zeitgeistes – für ein besseres Miteinander.
- Unser Ansatz: Menschliche Bedürfnisse und Herausforderungen hinter gesellschaftlich relevanten Alltagsphänomenen verstehen und für alle verständlich grundlegende (psychologische) Mechanismen erklären – für Aha-Momente, die Veränderung im individuellen Alltag ermöglichen.
Aktuell brennt es ja gesellschaftlich an allen Ecken und Enden. Welche Themen haben Sie vor diesem Hintergrund in Ihrer Forschung aufgegriffen?
Generell beschäftigen uns unsere Themen über einen langen Zeitraum, da sie nicht einfach und schnell gelöst werden können oder gar vorbei sind. Wir setzen uns gerade intensiv mit den Themen Alltagsrassismus, den Auswirkungen von Hate Speech auf Betroffene und dem Frausein 2022 auseinander - zu diesen Themen haben wir auch eigene Studien durchgeführt. Gleichzeitig reagieren wir auf Themen, die unsere Kund:innen aus unserem Kerngeschäft, der Marktforschung, aktuell beschäftigen, beispielsweise wie man als Marke eine Haltung zum Thema Gendern entwickeln kann.
Wie genau geht man als Markt- und Bedürfnis-Forscherin an die Fragestellung heran?
Wenn wir uns mit einem neuen Thema beschäftigen und entscheiden, eine Eigenstudie dazu durchzuführen, stehen im ersten Schritt intensive Recherche und interne Gespräche an, um den aktuellen Wissens- und Debattenstand zu verstehen. Wir überlegen uns dann, welcher Blickwinkel neu ist in Bezug auf das Thema und welchen Beitrag wir mit unserer Kernkompetenz leisten können. Diese besteht darin, Menschen zu verstehen – ihr Warum hinter Handlungen, ihre Herausforderungen und Sehnsüchte.
Daran anschließend konzipieren wir ein für jede Studie spezifisches Studiendesign, überlegen, wen wir befragen können, um möglichst tiefe Einblicke in ein Thema zu erhalten. Meist wählen wir eine Methodenkombination aus qualitativen Tiefeninterviews und einer groß angelegten Repräsentativbefragung. Je nach Thema führen wir außerdem Expert:inneninterviews.
Die Erkenntnisse, die wir in den verschiedenen Schritten gewinnen, analysieren wir in Hinblick auf (Bedürfnis-) Muster und leiten daraus Storys ab, die für Interessierte einen roten Faden ergeben und an den eigenen Alltag anknüpfen, um Relevanz zu schaffen. Denn: Nur durch persönliche Relevanz kann Veränderung initiiert werden.
Dann haben Sie also neue Erkenntnisse zu wichtigen gesellschaftlichen Themen. Was machen Sie dann damit?
Abhängig vom Thema wählen wir die Kanäle, die das Thema möglichst vielen Menschen zugänglich machen. Wir sind immer auch im Austausch mit Kooperationsparter:innen.
Bei der Fachtagung Kinderwelten 2022 hatten wir die Gelegenheit, einen Beitrag zum Diskurs rund um das Thema Diversität zu leisten und gemeinsam mit Medientreibenden für deren Verantwortung in Bezug auf dieses Thema zu sensibilisieren. Hier konnten die Ergebnisse zur Alltagsrassismus-Studie einige wichtige Insights liefern.
Für die Ergebnisse der Hate Speech-Studie haben wir zwei Online-Key Notes gehalten und hier Marketing-, Marktforschungs- und Pressekontakte eingeladen – mit großer Resonanz.
Um möglichst viele Menschen für das Thema Empathie zu erreichen, waren wir unter anderem auch auf dem Emotion Women’s Day 2022, sind zu Gast in Podcasts und schreiben Buch- und Zeitschriften-Artikel. Super vielfältig und spannend!
Anhand Ihrer Forschung wollen Sie Medien und Marken konkrete Handlungsempfehlungen geben – können Sie ein paar davon mit uns teilen?
Jede Thematik bringt ihre ganz eigenen konkreten Empfehlungen mit sich, verbindend würde ich es so beschreiben:
Wir müssen uns darüber klar werden, dass unsere individuelle Realität subjektiv ist, wir also nie „die volle Wahrheit“ kennen. Wir müssen sensibel sein für die Realität anderer. Unsere eigenen Vorurteile wahrnehmen und hinterfragen. Prüfen, welchen eigenen Beitrag wir im Alltag leisten können – authentisch, aus eigenen Werten heraus. In den Austausch gehen, zuhören und gemeinsam überlegen, wen man zu welchem Thema zu Wort kommen lassen sollte, der/ die sich ggf. intensiver mit einem Thema auskennt als man selbst. Bewusst miteinander kommunizieren. Vielfalt als Quelle von Wissen und Inspiration erkennen, Empathie als persönliche Stärke ausbauen. So in etwa.
Wenn man mit diesem Mindset an die Produktion von Medieninhalten und Markenbotschaften herangeht, werden diese automatisch diverser und tragen bei den Rezipienten dazu bei, dass die Umwelt in ihrer „Buntheit“ als normal wahrgenommen wird. Das fördert Toleranz.
Mal ein Beispiel: Wenn wir über das Thema Alltagsrassismus sprechen, wäre für mich ein entscheidender Schritt, anzuerkennen, dass dieses Thema mit jeder / jedem einzelnen von uns zu tun hat. Dabei ist eine offene, selbstreflektierte Auseinandersetzung wesentlich: die eigene Perspektive erweitern, lesen, anderen zuhören. Diese Erfahrung sollte sich in der Entwicklung von Medien und Marken spiegeln.
Sie arbeiten als Marktforschungsinstitut ja auch mit den unterschiedlichsten Marken zusammen. Warum sollten sich auch Unternehmen und Marken mit Empathie beschäftigen?
Weil es aus unserer Sicht heute essenziell ist, sich als Marke der eigenen Verantwortung bewusst zu werden. Das bedeutet, sich klarzumachen, wie stark die eigene Kommunikationsmacht ist und dass Marken und Medien mit ihren Bildern und Botschaften auch mitgestalten, was die nächste Generation als „normal“ erlebt.
Marken tragen durch Kommunikation zur Bildung von Stereotypen bei, dafür braucht es bewusste Auseinandersetzung, Sensibilisierung und das Erarbeiten einer Haltung: Wofür wollen wir stehen? Welches Menschen- oder Konsument:innen-Bild wollen wir vermitteln? Welchen Beitrag können und wollen wir leisten zu einem fairen und toleranten Miteinander?
Gibt es Beispiele für gelungene Arbeit mit der sensiblen Auseinandersetzung für ein faires Miteinander, von denen Sie wissen?
Ja, wir sehen auf jeden Fall schon einige positive Beispiele, was die Sensibilisierung für ein faires Miteinander angeht. In der Zusammenarbeit zur Fachtagung Kinderwelten konnte ich einige Einblicke in die Arbeit von Super RTL gewinnen, die sich schon lange mit dem Thema Diversität im Kinderfernsehen beschäftigen.
Birgit Guth, Head of Insights & Analytics, hat hier gemeinsam mit Redakteur:innen und Gestalter:innen aus verschiedenen Bereichen sehr spannende Einblicke gegeben und erklärt, dass sich der Sender als Marktführer im Kinderfernsehen schon seit einigen Jahren Gedanken zum Thema Diversitätsvermittlung macht und dazu einen Leitfaden erstellt hat. So stellen sie sicher, dass Diversitätskriterien bei der Entwicklung von Geschichten immer mitgedacht werden.
Eine Ihrer Hauptbotschaften ist, dass wir Empathie für ein besseres Miteinander benötigen. Was braucht es denn aus Ihrer Sicht für ein faireres und tolerantes Miteinander im Marken- und Medienkontext?
Marken agieren nicht im luftleeren Raum, sie sind gesellschaftliche Akteur:innen, senden Botschaften, haben Einfluss. Zuallererst braucht es daher den Willen zu einer bewussten Auseinandersetzung mit der eigenen Verantwortung als Marke. Marken können sich nicht nicht positionieren. Es braucht daher einen professionalisierten Austausch, wie Marken eine Haltung entwickeln können, wofür sie - über ihre Rolle als Anbieter von Waren und Dienstleistungen hinaus - stehen wollen, worin ihr Wert besteht. Das muss aus dem individuellen Markenkern heraus entstehen, um nachhaltig wirksam zu sein.
Für alle Beteiligten ist aus meiner Sicht Empathie eine ganz wichtige Grundkompetenz: a) um sich selbst besser zu verstehen, mit den eigenen blinden Flecken, b) um im Team zu wachsen und empathisch miteinander zu arbeiten und c) um sich klar zu werden, dass unsere Welt längst durch Vielfalt geprägt ist, der wir auf allen Ebenen von Marke und Zusammenarbeit Rechnung tragen müssen. Diese Form von Empathie 2.0 muss man allerdings auch trainieren.
Mit Blick in die Zukunft: Welche Themen beschäftigen Sie in den nächsten Monaten?
Wir wollen weiter Wissen teilen: Wir werden bei unserer Frauenstudie den nächsten Schritt gehen und unter die Lupe nehmen, wie Frauen unter Frauen im Business-Kontext agieren.
Enabling ist für uns auch immer ganz wichtig: Wir wollen unser Empathie-Training noch weiter in Unternehmen hineintragen. Und wollen außerdem durch Stressmanagement-Trainings dabei unterstützen, den individuellen (Arbeits-) Alltag bewusster und gesünder zu gestalten. Ein weiteres großes Trainings-Thema, das aus unserer Sicht unabdingbar ist für die persönliche und berufliche Entwicklung in Zukunft, ist das Thema Resilienz. Also viel Spannendes to come.
Und uns ist besonders wichtig: Immer im Austausch bleiben, um gemeinsam zu bewegen! Denn: die Veränderung sind wir!