Aber verdienen denn da die ganzen soeben aufgezählten Kanäle auch wirklich das Prädiktat „programmatisch“?

Leider nein. Ein einfaches Beispiel: Auf einer Webseite sind Bannerflächen für Werbung vorhanden. Werden diese über Programmatic Advertising belegt und wir beide surfen auf unseren Endgeräten zur gleichen Zeit über die gleichen Seiten, werden wir unterschiedliche Werbung zu sehen bekommen – jeweils auf uns zugeschnittene Angebote. Das ist der Kern und die Stärke von programmatischer Werbung. Ich bringe meine Botschaft an den Nutzer, der für mich am erfolgversprechendsten ist. Nutzer, die für meine Botschaft nicht interessant sind, erhalten die Werbung eines anderen Unternehmens. Auktionsmodelle - der Kern von Programmatic Advertising - gewährleisten immer den wertvollsten Nutzer. Aber: Wie soll das im Kino gehen? Das ist eine typische Kommunikation mit einer Botschaft, die viele Menschen sehen – wir sprechen von einer 1:n Situation. Programmatic sollte per Definition eine 1:1 Ansprache sein.

Ist es aber nicht…

Exakt. Neben Kino gilt das auch für Print – wie soll der gedruckte „Spiegel“ erkennen, wer ihn liest und dann noch darauf reagieren? In diesem Zusammenhang besonders enttäuschend ist Programmatic TV. Laut Verkaufsunterlagen der SevenOne Media, die das Produkt Mitte letzten Jahres gelauncht hat, kann man lediglich auf eine Handvoll Zielgruppencluster zurückgreifen – nicht mal Regio-Targeting kann „Programmatic TV“ – das ist für mich eine reine Mogelpackung. Insbesondere weil das Addressable-TV-Produkt aus dem gleichen Hause beides beherrscht.

Überall dort, wo uns Programmatic im Kontext mit digitalisierten klassischen Kanälen begegnet, ist Vorsicht geboten.

Lass mich da nachhaken: Die 1:1-Kommunikation mit dem Kunden, also die volle Nutzerzentrierung, ist mit Programmatic Advertising, wie es derzeit angeboten wird, überhaupt nicht möglich? Von Kundenseite geht man aber genau davon aus, erhält stattdessen jedoch wieder Massenansprache?

Überall dort, wo uns Programmatic Advertising im Kontext mit digitalisierten klassischen Kanälen begegnet, ist Vorsicht geboten. Manchmal – wie im Falle von Programmatic TV – ist eine andere Methode wie Addressable TV genauer und für Werbungtreibende damit attraktiver. Auch hier gilt: Markige Worte kritisch hinterfragen!

Ist für dich dann Programmatic nur heißer Marketingscheiß?

Im Gegenteil. Ich setze auf Programmatic. Ich beschäftige mich jetzt seit weit über zehn Jahren mit dem Thema und weiß um die Chancen. In gewisser Weise schätze ich auch die neuen Produkte. Auch wenn viele davon aktuell falsch etikettiert sind.

Was macht dich optimistisch?

Programmatic Advertising hat enormes Potential, besser zu werden. Programmatic hat das Zeug, die Komplexität von Werbeaktivitäten reduzieren zu können. Der Werbemarkt wird jedes Jahr größer, bunter und unübersichtlicher – allein im Bereich Video mit Angeboten wie ATV, CTV und jetzt AVoD der Streamingdienste, dazu Bewegtbild OoH, das Kino und natürlich alles Digitale. Viele Silos, die aktuell schwer unter einen Hut gebracht werden können. Der Markt will Messbarkeit und vor allem Vergleichbarkeit der Werbekanäle. Hier können programmatische Methoden helfen, die notwendigen Standards zu setzen.

Das heißt, Programmatic könnte am Ende einen wirklichen Siegeszug antreten und Werbungtreibenden endlich die Transparenz bieten, die im Mediageschäft mangels Vergleichbarkeit der Kanäle und ihrer Leistungswerte so sehr fehlt?

Das ist meine Vision. Wenn wir in Umfragen unter Werbungtreibenden schauen – ob seitens des BVDW/FOMA oder des OWM: Ganz oben steht immer der zentrale Wunsch nach verbesserter Werbewirkungsmessung und vergleichbaren Währungen in der Media. Programmatische Plattformen könnten eine nie dagewesene Transparenz in die Prozesse rund um Werbewirkung und Vergleichbarkeit bringen.

Programmatische Plattformen könnten eine nie dagewesene Transparenz in die Prozesse rund um Werbewirkung und Vergleichbarkeit bringen.

Wenn hier Programmatic die Wende bringen könnte, welche Schritte müssten dafür eingeleitet werden?

Da liegt sicher noch ein steiniger Weg vor der Werbebranche als Ganzes. Es geht ja darum, Silos aufzubrechen, Gemeinsamkeiten zu finden und letztlich auch technische Standards zu setzen. Bis hin zu Cookieless und Datenschutz. Im ersten Schritt bleibt es wichtig, dass Werbungtreibende und Agenturen weiterhin dem Wunsch nach Transparenz Ausdruck verleihen und auch einfordern. Im TV Markt etabliert sich zum Beispiel gerade ein Tool, das Werbespots sekundengenau messen kann. Die Programmatic-Welle seitens der Vermarkter kann man da durchaus positiv als weiteren Schritt in die richtige Richtung interpretieren.

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Autor: Christiane Treckmann

Christiane Treckmann ist Mitglied der W&V Redaktion. Ihre Interessen: das Spannungsfeld von Menschen, Marken und Medien - analog und insbesondere digital. Daher liegen ihr besonders Themen rund um Markenstrategien, Mediaplanung, Nachhaltigkeit, KI - und die Menschen dahinter am Herzen. Christiane ist zudem regelmäßige Moderatorin der W&V Webinare.