"Wir haben uns anfangs am Video-Publisher 'Now This' orientiert", sagt Bales. Das Geschäft mit den Marken hat der Gründer eher zufällig entdeckt - eine Art Hängemattenzelt des Herstellers Tentsile, das in einem der Clips auftauchte, war plötzlich überall ausverkauft. Bis heute erreicht das Video über 80 Millionen Aufrufe.

Für Bales war es die Initialzündung, um Anfang 2017 in das Geschäft mit Branded Content einzusteigen. Nach nur einem Dreivierteljahr stehen Porsche, die Deutsche Telekom, Iglo, Bahlsen, Tom Tailor, Deutsche Post DHL und weitere große Marken auf der Kundenliste - insgesamt sind es mehr als 30 Unternehmen.

Für das Hamburger Modeunternehmen Tom Tailor beispielsweise entsteht derzeit eine mehrteilige Video-Kampagne, die die neue Markenstrategie unter dem Slogan "Say Yes" auf Facebook auf emotionale Weise verlängern soll. In der ersten Folge verteilt Jessy Greaves - der Kult-Barmann vom Hamburger Fischmarkt - kostenlosen Kaffee an zufällig vorbeilaufende Passanten und zaubert ihnen so ein Lachen ins Gesicht.

Der Spot wurde auf der Facebook-Seite von Tom Tailor in den ersten 48 Stunden von über zwei Millionen Menschen angesehen. Weitere Videos folgen in den kommenden Monaten.

Bemerkenswert ist, dass die meisten Werbekunden den direkten Kontakt zu Stoyo Media suchen – ohne den Umweg über ihre Kreativ- oder Mediaagentur. "Die Kunden schauen sich abseits der gelernten Wege um. Sie sind teilweise viel weiter als die Agenturen. Sie wollen gewinnen und suchen den 'crazy shit', der ihnen dabei hilft", sagt Bales. Die Agenturen reagieren unterschiedlich, manche grenzen sich von dem Startup-Wettbewerber ab, andere - wie Scholz & Friends - suchen die Zusammenarbeit.

"Crazy shit", das ist zum Beispiel auch die Erfolgsgarantie, die Bales den Werbekunden gibt: Erreicht ein Facebook-Video, das die Produktion von Stoyo Media verlässt, nicht innerhalb kürzester Zeit eine organische Facebook-Reichweite von mindestens einer Million Views, dann bekommen die Werbekunden ihr Geld zurück. Stoyo auszuprobieren ist für sie also völlig risikofrei.

Bezahlte Publisher sorgen für Reichweite

Das ist doch unerhört. Wie kann Bales sich das trauen? Las man nicht kürzlich noch im Handelsblatt in einem Interview mit dem – scheidenden - Jung von Matt-Vorstand Thomas Strerath, Marken unterlägen der romantischen Vorstellung, sie könnten es auf Google und Facebook ohne bezahlte Werbung schaffen, allein über ihren Content. "Was für ein schrecklicher Irrtum. Wer gesehen werden will, muss zahlen", sagte Strerath.

Jung von Matt, das ist immerhin eine der schillerndsten Kreativagenturen im Land, die immer wieder mit Viralhits auffällt: #heimkommen oder der Supergeil-Film für Edeka wurden auf Youtube millionenfach abgerufen. Kürzlich machte der Flitzer-Opa für die Sparkassen im Netz Viral-Karriere.

Wie kann Bales etwas versprechen, das Strerath für unmöglich hält? Nun ja, ganz unbezahlt ist die Reichweite der Stoyo-Videos auch wieder nicht, der Viralität wird durchaus nachgeholfen. Statt an Facebook fließt das Geld allerdings an 300 internationale Medienpartner wie etwa die Publishing-Seite The Daily Dot.

Die Publisher werden dafür bezahlt, dass sie die von Stoyo produzierten Marken-Videos auf ihren Facebook-Seiten teilen. Die Videos kommen also keineswegs alleine durch das Posting auf der Fanseite einer Marke auf eine Millionenreichweite.

Bales findet dennoch, dass durch seine Methode ein Mehrwert im Vergleich zu gekaufter Facebook-Reichweite entsteht, alleine deswegen, weil man bei den Medienpartnern eine entscheidende Hürde überwinden muss: Sie teilen die Videos nur, wenn sie glauben, dass sie ihren Fans Spaß bereiten.

Diese Art der Distribution kostet die Werbekunden sogar mehr Geld, als wenn sie bei Facebook Reichweite einkaufen würden. Man kann es quasi als Preisaufschlag für den Authentizitäts-Check sehen: Wenn Medienpartner sich bereit erklären, das Video zu verbreiten, trifft es garantiert den Nerv ihrer Zielgruppe. Andernfalls würden sie riskieren, ihre Nutzer zu vergraulen.  

Fehlt in der Kreativagenturen-DNA: Datenbasierte Kreation

Zwischen 50.000 und 80.000 Euro zahlen Werbekunden für eine Video-Kampagne bei Stoyo Media. Es hat Gründe, dass sie dabei ziemlich oft ihre angestammten Agentur-Partner umgehen. Zu oft werde dort noch das alte Werbe-Modell praktiziert, bei dem eine Kreativagentur einen Spot produziert hat, der anschließend von der Mediaagentur in die verschiedene Medienkanälen distribuiert werde, sagt Bales, während er ein Koordinatenkreuz aufzeichnet.

Die Mediakosten des alten Modells sind starr und hoch: Egal, wie gut oder schlecht ein Spot beim Zuschauer ankommt - die Kosten auf der Distributions-Achse bleiben immer gleich. In der Social Media-Welt ist dieses Prinzip umgedreht: Je besser eine Video-Kreation beim User ankommt, desto geringer sind am Ende die Distributionskosten. "Wer eine gute Kreation hat, kriegt die Distribution hinterhergeworfen," sagt Bales.

Das haben natürlich auch andere begriffen: Ob Mediaagenturen, Kreativagenturen, TV-Produzenten oder Corporate Publisher – sie alle umgarnen Werbekunden mit dem Versprechen, ihnen mit unterhaltsam erzähltem, kreativem "Content" virale Trägerraketen zu schaffen, auf denen ihre Marke im Web abheben können  – nicht nur einmal und zufällig, sondern verlässlich und kalkulierbar.

Doch Kreative, in deren DNA es angelegt ist, nach der großen Cannes-Löwen-fähigen Idee zu fahnden, müssen sich an die datenbasierte Kreation erst noch gewöhnen. Die Mediaagenturen haben ein anderes Problem: Sie können bei Facebook ihr lange eingeübtes Geschäftsmodell nicht praktizieren, das auf der Maximierung von Vorteilen im Mediaeinkauf besteht. So etwas schüttelt man nicht von heute auf morgen ab.

Die jungen smarten Tech-Angreifer aus der datenbasierten Kreationswelt dagegen haben die neue Denke mit der Muttermilch aufgesogen. In der Nische Facebook-Videos sieht Bales derzeit wenig Wettbewerb zu Stoyo. Der Gründer glaubt deswegen, sich "einen riesigen Teil" aus dem Social-Video-Werbekuchen herausschneiden zu können.

Datenanalyse und permanentes A/B-Testen

Doch was heißt "bessere Kreation" im Fall von Social Videos? Und welche berechenbare Mechanik steckt hinter Bales Viral-Versprechen? Er produziert Hits in Serie, man könnte ihn als Frank Farian der Social Video-Hitparade bezeichnen. Mit Stoyo-Mitarbeitern hat er eine Technologie entwickelt (die vier Entwickler sitzen in Rumänien), die systematisch Themen identifiziert, die auf Facebook und anderen Plattformen funktionieren.

Über eine Schnittstelle zu Facebook bekommt Stoyo Zugriff auf alle öffentlichen Posts und die dazugehörigen Shares, Likes und Kommentare, um sie auszuwerten. Darüberhinaus fischen die Berliner zehn Web-Plattformen systematisch auf funktionierenden Content ab, darunter beispielsweise 9gag oder Imgur.

Auf Basis dieser Analysen entwickeln die Kreativen Konzepte für Video-Kampagnen der Kunden und testen sie gegeneinander. Sie ersetzen das Bauchgefühl durch nüchterne Daten. In seltenen Fällen können dabei Szenen aus vorhandenen TV-Spots einfließen, wie dem von Kolle Rebbe für den Bahlsen-Snack Pick Up. Unter dem Slogan "Anders macht mehr Spaß" entstanden testete Stoyo über 30 verschiedene Video-Varianten auf ihre Facebook-Performance, bis die Optimal-Variante gefunden war.

Dieses Verfahren ist Prinzip. Video-Ideen werden zunächst per Smartphone in einfache Video-Dummies umgesetzt und auf Facebook solange getestet, bis eine Version die garantierte Flughöhe erreicht. "Wenn wir einen Film beim Kunden abliefern, wissen wir, dass er fliegt", sagt Bales. Inzwischen dreht Stoyo das Material zunehmend selbst. Anfangs griffen die Gründer auf im Netz vorhandenen User Generated Content zurück.

Für den Kunden Movinga war das beispielsweise eine Kollektion lustiger Umzug-Missgeschicke beim Umziehen mit Freunden. "Es sind Videos, in denen sich die User wiedererkennen. Es ist das Gegenteil vom Prinzip TV-Spot, bei dem eine Marke sich so inszeniert, wie sie gerne gesehen werden möchte", sagt Bales.

Stoyo Media legt mit einem einzigen, sehr speziellen Produkt ein rasantes Wachstumstempo vor: Mit dem aktuellen Umsatz würde es das Startup bereits jetzt in die Top 50 der inhabergeführten Kreativagenturen in Deutschland schaffen, rechnet Bales vor. Das hieße mindestens einen Nettohonorarumsatz von rund 3,3 Millionen Euro.

Der Vergleich hinkt natürlich, weil Stoyo Media sich eher in das Ranking der Werbefilmproduktionen einreihen müsste, nicht in das der Full-Service-Kreativagenturen. Profitabel ist Stoyo Media noch nicht, könnte es 2018 werden, doch auf Bales Agenda steht Startup-typisch eher das schnelle Wachstum ganz oben. "Mit 600 Prozent jährlichem Umsatzwachstum sind wir mit großem Abstand die schnellsten wachsende Agentur", sagt Bales.

2018: Eine Niederlassung in New York

In Berlin, wo Stoyo Media mittlerweile 50 Mitarbeiter aus 20 Nationen beschäftigt, fängt Bales Tag früh an. An diesem Morgen hat er einen Investor aus Silicon Valley getroffen. Das kann als Ritterschlag gelten in der Berliner Startup-Szene, die im Vergleich zu derjenigen anderer Weltstädte wie London immer noch als unterkapitalisiert gilt.

Noch braucht Bales kein frisches Geld, die letzte Finanzierungsrunde brachte drei Millionen Euro. Vielleicht aber im nächsten Jahr. Dann wird er mit Stoyo Media im teuren New York eine Niederlassung eröffnen. Die potenziellen US-Kunden kennen ihn jetzt, wissen, wie seine Firma tickt und was sie leisten kann. Das ist wichtig, wenn ein Markenunternehmen bis zu 90.000 Dollar ausgeben soll, um bei einem nahezu unbekannten jungen Gründer eine Social Video-Kampagne in Auftrag zu geben.

Auf dem Weg durch die Küche bleibt der Blick an einer Wandmalerei hängen – sie zeigt eine wachsame Eule, garniert mit dem Spruch "Money Follows Eyeballs". Das Geld fließt in der digitalen Welt derzeit mit berauschender Geschwindigkeit in die Taschen von Facebook und Google. Es ist eine gute Zeit für diejenigen Spezialisten, die die Klaviatur dieser Plattformen am meisterhaftesten bespielen können.


Autor: Judith Pfannenmüller

ist Korrespondentin für W&V in Berlin. Sie schaut gern hinter die Kulissen und stellt Zusammenhänge her. Sie liebt den ständigen Wandel, den rauhen Sound und die thematische Vielfalt in der Hauptstadt.